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Zurück zu Helgi als Repaesentant der Altvorderenzeit |
Óskmejyar
Erster Teil
Die Walküren in der Helgaquiða Hundingsbana I
Im Bann weiblicher Mächte
Ich habe kurz aufgezeigt, wie in der heroischen Altvorderenzeit persönliche Identität, Verpflichtung und Handeln ein und das selbe waren. Dieses Netz, ausgehend von den von Alasdair MacIntyre trefflich so bezeichneten "Schlüsselstrukturen", bestimmt das Handeln des Einzelnen.
"Außerdem gibt es Kräfte in der Welt, die niemand kontrollieren kann... Diese Kräfte und die Regeln der Verwandtschaft und Freundschaft bilden zusammen unentrinnbare Muster. Weder durch Willen noch durch List vermag ihnen irgend jemand zu entgehen. Schicksal ist eine soziale Realität, und das Erspähen des Schicksals ist eine bedeutende soziale Rolle. Es ist kein Zufall, dass der Prophet und der Seher im Griechenland Homers eine ebenso wichtige Stelle einnimmt wie im Island der Sagas und im heidnischen Irland."(1)
Am Anfang der Helgaquiða Hundingsbana I sind die Verkünderinnen des Schicksals identisch mit diesen Mächten, die niemand kontrollieren kann: die Nornen. Der Text zeigt sie als Schicksalsweberinnen. Die Raben, denen ganz offenbar seherische Fähigkeiten innewohnen, wissen sofort, was Helgis Geburt zu bedeuten hat.
Gerade in dem Moment, in dem Helgis Fehde mit den Hundingssöhnen endet, treten die Walküren auf, und der Konflikt mit den Granmarssöhnen nimmt seinen Anfang. In diesen greift Sigrún aktiv ein. Der Schluss ist ihre Verkündigung des Streits, der zu Helgis Tod führen wird. "Der Mensch, der tut, was er sollte, bewegt sich daher unaufhaltsam auf sein Schicksal und seinen Tod zu. Am Ende steht die Niederlage, nicht der Sieg. Das zu verstehen ist selbst eine Tugend; es ist sogar ein notwendiger Bestandteil von Tapferkeit, das zu verstehen. Aber was ist in diesem Verständnis enthalten? Was würde verstanden werden, wenn die Verknüpfungen zwischen Tapferkeit, Freundschaft, Treue, der Hausgemeinschaft, Schicksal und Tod begriffen würden? Sicherlich, dass das menschliche Leben eine festgelegte Form hat, die Form einer bestimmten Art von Geschichte. Es ist nicht einfach so, dass Epen und Sagas erzählen, was Männern und Frauen widerfährt, sondern dass Epen und Sagas in ihrer erzählenden Form eine Form aufgreifen, die schon in dem Leben vorhanden war."(2)
In der Helgaquiða Hundingsbana I handelt vor allem Helgi, die Hauptfigur. Wir haben gesehen, dass es nicht nur darum geht, eine spannende Geschichte zu erzählen, von dem, was Helgi tut. Es geht auch darum, wer Helgi ist. Helgi, der Repräsentant der Altvorderenzeit, befindet sich von seiner Geburt bis zu seinem Tod im Banne weiblicher Mächte.
Ein Schicksal gibt es ebenfalls bei Homer, ein Schicksal, das auch der mächtigste Gott, Zeus, nicht kontrollieren, sondern nur mit Hilfe seiner Waage lesen kann. Aber in der Helgaquiða Hundingsbana I hat das Schicksal weibliche Gesichter, die Gesichter von Frauen.
Und zwar nicht nur die Gesichter der Nornen. Es ist Sigrúns Auftritt und Rede, die ihn in den Kampf mit den Granmarssöhnen treibt. In diesem Kampf, den sie ausgelöst hat, beschützt sie ihn. Als Helgi in eine Situation gerät, in der ihm seine Tapferkeit nichts nutzt, nämlich im Sturm auf See, auch dieser verkörpert durch eine weibliche Macht, rettet ihn Sigrún.
Sigrún ist aber kein Geistwesen. Sie ist eine durchaus menschliche Frau, die Tochter des Högni. Dies verleiht ihr einen Doppelcharakter. Auf der einen Ebene ist sie ein mächtiges Wesen, das eine Flotte vor dem Untergang retten kann und durch die Luft reitet. Sigrún kommt bei jedem ihrer Auftritte quasi von oben ins Bild. Auf der anderen Ebene ist sie eine menschliche Frau, die den Ehemann ablehnt, den ihr Vater ihr zugewiesen hat, und sich ihren eigenen erwählt.
Wir erinnern uns: Entgegen der Wahl ihres Vaters Högni erwählt Sigrún zunächst den Höddbroddr, dann jedoch Helgi. Warum das?
Weil wir es mit einer christlichen Quelle zu tun haben. Höddbroddr, Ísungs bani, der tapfere König, wird von Sigrún getäuscht und auf die Schlachtbank geschickt.
Dies gilt übrigens auch, wenn die Lesart die richtige ist, nach der Högni Sigrún irgend einem der Granmarssöhne versprochen und sie sich unter diesen den Höddbroddr ausgesucht hat. Sie hatte nie die Absicht, ihn zu heiraten, hat ihn getäuscht und hetzt jetzt Helgi auf ihn, damit dieser ihn tötet. Sigrúns Aufbegehren gegen den väterlichen Willen ist unter christlichen Verhältnissen so oder so verdammenswert.
Wir kommen jetzt zur Charakterisierung der weiblichen Mächte, in deren Bann Helgi sein Leben verbringt.
Die Diffamierung der alten heidnischen Mächte in der christlichen isländischen Literatur folgte einem ganz bestimmten, subtilen Muster, und dies aus gutem Grund. Ein gutes Beispiel ist die Hrafnkels saga Freysgoða,(3) deren Handlung ich hier kurz wiedergebe.
Hrafnkel ist ein Gode des Freyr. Er weiht seinem Gott unter anderem einen Hengst, Freyfaxi, und schwört, jeden zu töten, der Freyfaxi reitet außer ihm selbst. Ein Hirt, der verlorene Tiere einfangen will, braucht dazu unbedingt ein Pferd, kann aber nur Freyfaxi finden. Also reitet er ihn und denkt, dass Hrafnkel es schon nicht erfahren wird. Das Pferd aber läuft sofort zu seinem Herrn und macht ihn auf den Verstoß aufmerksam. Gemäß seinem Eid tötet Hrafnkel den Hirten, was ihm eine Blutfehde mit dessen Familie einbringt, in der er schmählich unterliegt. Daraufhin wendet er sich von Freyr ab, worauf sich die Dinge für ihn wieder zum Guten wenden.
Es wird nirgends direkt ausgesagt, aber selbstverständlich ist es Freyr, der die Tiere entlaufen lässt und dem Hirten nur Freyfaxi über den Weg führt. Das Pferd, das sofort zu seinem Herrn läuft, ist Freyr geweiht, dieser ist sein wahrer Herr. Freyr verursacht zuerst den Tod des Hirten und dann den Untergang seines Goden. Es wird nicht etwa behauptet, dass es Freyr nicht gibt. Es gibt ihn sehr wohl. Er ist der Teufel.
Auch und gerade Odin ist in zahlreichen anderen Quellen der Teufel: Er verrät diejenigen, die sich mit ihm einlassen, am Ende immer.
Diese diffamierende Darstellung lässt es zu, die heidnischen Vorfahren als durchaus ehrenwerte Leute erscheinen zu lassen, die zu ihrem Unglück dem Teufel ausgeliefert waren. Denn sie kannten das Christentum und seine Heilsbotschaft ja nicht, der sich ihre Nachfahren freudig und freiwillig zuwandten. Das gilt, das sei hinzugefügt, zumindest für die Männer, die eben nicht von vornherein Gefäße der Sünde sind.
Sigrún wird auf zwei Ebenen angegriffen. Auf der Ebene, auf der sie ein mächtiges Wesen ist, erweist sie sich bei genauerem Hinsehen als die "täuschende Walkürenhexe" der Beschimpfungsszene. Auch Helgi stirbt letztlich durch das Muster, das durch den Auftritt der Walküre initiiert wurde. Ihr hauptsächliches Opfer ist aber der untadelige Höddbroddr. Auf der Ebene, auf der Sigrún eine menschliche Frau ist, maßt sie sich an, ihren Partner selbst zu wählen. Das kann ja nur zum Unglück führen.
Auch die Nornen, die Helgis Schicksalsfäden spannen, verhängen in erster Linie Tod und Verderben.
Unsere Quelle zeigt die subtile gegenseitige Durchdringung echter Überlieferung und christlicher Ideologie. Hinter dem vordergründig glänzenden Bild der Altvorderenzeit liegt ihre Darstellung als Tummelplatz grausamer, böser, gegen die Menschen gerichteter Mächte, vor denen nur das Christentum sie schützen kann.
Fußnoten:
(1)ebd. , S. 167
(2)ebd., S. 167f.
(3)http://www.snerpa.is/net/isl/hrafn.htm
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