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Hans Schuhmacher Nationalismus 03
28.04.2017, 09:55

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<< Rückbezug auf die Vergangenheit | Liste Nach Autoren | Nemenyi's merits >> Naturreligion als "strukturelle Nostalgie"

Wie schon bei verschiedenen Gelegenheiten angemerkt, blieben die zahlreichen Kritiker des Neuheidentums die Antwort auf die Frage schuldig, warum eigentlich das ganze Phänomen kurz nach seinem Aufkommen unter eine rechte Hegemonie geriet. Es wurde zirkelschlussartig von der rechten Hegemonie auf eine entsprechende, gewissermaßen vorgegebene Tendenz des gesamten Unterfangens geschlossen. Also quasi: rechte Gruppen und deren "Lichtgestalten" beherrschen die Szene, ergo ist die Beschäftigung mit der Spiritualität alter europäischer Kulturen ein Unterfangen, das von vornherein der äußersten politischen Rechten in die Hände spielt. Ein Warum schien sich zu erübrigen.

Bestenfalls wurde hier und da auf einige historische Phänomene verwiesen, die ebenfalls der politischen Rechten der Vergangenheit und Gegenwart zuarbeiteten und deren Einfluss auf das Neuheidentum erkennbar ist, so etwa die Romantik des 19. Jahrhunderts. Es fällt auf, dass die Begründer des Nationalismus im 19. Jahrhundert ebenso wenig in die Schusslinie dieser Kritik gerieten wie die Biologie, die Medizin und die Psychologie des 19. Jahrhunderts. Selbst Reinhard Wenskus schrieb den Nationalismus "irrationalen" Kräften des 19. Jahrhunderts zu, wir haben aber gesehen, dass ganz im Gegenteil die Wissenschaft dieser Zeit, und zwar sowohl die Geistes- wie die Naturwissenschaft, tragende Rollen bei der Konstituierung von "Volk" und "Rasse" spielten.

Aberwitzig war und ist allerdings der diesbezügliche Umgang mit dem Germanenthema: aufgrund der völlig richtigen Beobachtung, dass antidemokratische Kräfte des 19. und 20. Jahrhunderts sich auf die Germanen beriefen und berufen, zog man nicht nur den Schluss, jeder, der sich auf die Germanen beruft, sei damit diesen Kräften zugehörig - man betrachtete sogar "die Germanen" selbst, also Angehörige von eisenzeitlichen bis frühmittelalterlichen Stammesgesellschaften, als diesbezüglich suspekt. Das geschieht auch durchaus heute noch.

In meinem Text "Etiam sanctum aliquid et providum - Thesen zur germanischen Frau" habe ich ein Kapitel zur Germanenrezeption eingefügt und den historischen Werdegang dieser Erscheinung umrissen. Im ersten Kapitel habe ich diese Darstellung wesentlich ergänzt. In diesem Kapitel möchte ich das Wie und Warum der Vorgänge und Zustände in unserem Feld untersuchen. Falsche Umkehrschlüsse wie "Rechte beziehen sich auf die Germanen, also sind alle, die sich auf die Germanen beziehen, Rechte" oder dergleichen führen in der Sache nicht weiter. Selbst wenn keine solchen falschen Schlüsse vorliegen, waren und sind Beiträge zum Thema sehr oft Beschreibungen ohne Erklärungen - oder vielmehr Beschreibungen anstelle von Erklärungen.

Hier spielt meines Erachtens die Intention des jeweiligen Kommentators eine wichtige Rolle. "Gegen Rechts sein" besagt im Zweifelsfall recht wenig. Will man lediglich anklagen, anprangern und sich selbst damit in Szene setzen, reicht eine Beschreibung freilich völlig aus. Diese muss nicht einmal allzu genau sein, sie kann sogar auf an der Haaren herbeigezogenen Personalverflechtungstheorien beruhen, wie wir es vor allem Mitte bis Ende der 90er Jahre häufig erlebt haben. Diese können, garniert mit ein paar Fehl- und Zirkelschlüssen sowie einigen Binsenweisheiten - zum Beispiel über "die Germanen" - bereits als Buch publiziert werden. Das ist besonders erfolgversprechend, wenn heftig an die Normalität appelliert wird und "religiöse Spinner" als Sündenböcke für ein äußerst gefährliches politisches Phänomen präsentiert werden können. Will man aber das Problem wirklich angehen, muss man es zuerst verstehen. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass der Hokuspokus, den Burkhard Schröder so treffend charakterisiert hat, die Drahtzieher des Rechtsextremismus wenig beeindruckt. In unserem eigenen Feld wurden die Machtpositionen der "Lichtgestalten", mit denen ich mich Mitte der 90er Jahre befasste, von der damaligen öffentlichen Hexenjagd gestärkt und nicht geschwächt. Geschwächt wurde sie, indem man ihren Autoritätsansprüchen entgegentrat - was keineswegs das selbe ist, wie sie zu verkünden.

Im deutschsprachigen Raum bildete das naturreligiöse Unterfangen zunächst einen Teil der grün-alternativen Bewegung. Diese war ein Sammelsurium von ökologischen Aktivisten, Kriegsgegnern, Feministinnen, Atomkraftgegnern und einer enormen Vielzahl von Gruppen und Grüppchen, zu denen noch zahlreiche Einzelpersonen hinzukamen, die entweder nur mitliefen oder eigene kleine Projekte in die Bewegung mit einbrachten. Ein Teil der Bewegung war auch spirituell motiviert, die Vielzahl der spirituellen Richtungen spiegelte die Vielfalt der Bewegung insgesamt. Man konnte ohne weiteres franziskanische Sonnengesänge und hinduistische Hymnen an Shiva am selben Tag hören und beobachten, dass teilweise die selben Menschen mitsangen.

Rechte Gruppierungen versuchten von Anfang an, die Bewegung als ganze oder doch einen Großteil zu indoktrinieren oder auf andere Weise die Kontrolle an sich zu reißen. Ein wichtiger Vorfall war diesbezüglich die Unterwanderung des Berliner Landesverbandes der Grünen unter Beteiligung von Geza von Nemenyi und Mitgliedern der "Heidnischen Gemeinschaft". Es war insbesondere dieser Vorfall, der es denjenigen Kräften innerhalb der Bewegung erlaubte, nichtschristliche Spiritualität auszustoßen, denen sie ohnehin ein Dorn im Auge gewesen war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte allerdings der Armanenorden bereits Erfolg damit gehabt, Naturreligiöse zu ködern. Mehrere der an der Berliner Aktion Beteiligten kamen zumindest aus seinem Dunstkreis. Ich habe in anderen Arbeiten gezeigt, dass der Armanenorden genau wie andere Organisationen dieser Ausrichtung seine eigentlichen Inhalte vor der Öffentlichkeit und Neueinsteigern geschickt tarnte. Der Armanenorden bediente sich mit großem Erfolg der strukturellen Nostalgie: schon List hatte von der germanischen "Urdemokratie" geschrieben, in der Politik nicht existiert habe, weil sie unnötig gewesen wäre - wir sehen hier geradezu die klassische Idylle der strukturellen Nostalgie.

Der Armanenorden (der uns hier als Beispiel dient) konnte diese Erfolge verbuchen, weil strukturelle Nostalgie ein wichtiges Element der grün-alternativen Bewegung war. Allgemein geteilt wurde die Hinwendung zur Natur und die Kritik an ihrer Ausbeutung und Zerstörung - es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, darauf zu verweisen, dass es vor der grün-alternativen Bewegung keinerlei offizielle Ökologiepolitik gab, auch keine Umweltministerien. Weit verbreitet war eine Hinwendung zu einem "natürlicheren" Leben – auf dem Lande, mit gesunder Ernährung et cetera. Teilweise wurden zum Beispiel die amerikanischen Ureinwohner romantisiert und idealisiert, die als beispielhaft in ihrer "naturnahen" Lebensweise galten.

Die Problematik des Naturbegriffs habe ich bereits in früheren Arbeiten besprochen. In der vorigen Kapiteln haben wir gesehen, wie der Nationalismus sich des Bildes der verklärten Ur-Vergangenheit bemächtigte, es mit seinen Inhalten besetzte und es instrumentalisierte. Der Armanenorden tat nichts anderes, und er tat es unter den selben Vorzeichen. An einigen Beispielen habe ich gezeigt, wie ähnlich die Argumentation neuheidnisch-rechter Autoren derjenigen aus der Zeit der Ausbreitung des Nationalismus ist. Die genealogische Abhängigkeit der neuheidnisch-rechten Ideologien vom nationalistischen "mainstream" habe ich ebenfalls aufgezeigt.

Das naturreligiöse Unterfangen war im Grunde genommen die Suche nach einen positiven Bild des weißen, europäischen Menschen, das im Gegensatz zur grausigen Geschichte der europäischen Nationen und zur raketenstarrenden, Boden und Luft verpestenden Gegenwart der 80er Jahre stehen sollte. Es war im Grunde geleitet von dem Wunsch, nicht so zu sein wie die Europäer in Geschichte und Gegenwart. Es wurden nicht nur die Missstände angeprangert, sondern auch der Irrweg, der zu diesen geführt hatte. Feministinnen wandten sich gegen eine Jahrhunderte andauernde Verteufelung und Unterdrückung von Frauen durch die Kirche. Ökologische Aktivisten wandten sich nicht nur gegen Atomkraftwerke und Autobahnen, sondern auch eine Weltsicht, in welcher "der Mensch" sich zum Herrscher über die Ressource Natur erklärt. Indienreisende und Bücherwürmer entdeckten, dass nicht alle Kulturen "Sexualität" als schmutzig und böse ansehen. Leser der Werke Castanedas und Hobby-Ethnologen (zum Teil auch berufsmäßige Ethnologen wie Hans-Peter Duerr) entdeckten Weltsichten, die mit der, die man ihnen beigebracht hatte, nicht zu vereinbaren waren.

Bei alledem bildete die strukturelle Nostalgie ein unterschwelliges oder offensichtliches Element. Auf der Suche nach Identifikationsmodellen in der europäischen Geschichte und Vorgeschichte tat sich die nationalistische Fallgrube auf. Die doppelte Konstituierung, die ich in der Einleitung geschildert habe, folgte auf dem Fuße.

Nicht etwa Naturreligiöse der 80er Jahre schufen eine nationalistisch-rassistische, verklärte Vergangenheit. Sie fanden sie bereits vor und hielten sie für die historische Wahrheit - da man ihnen ja auch von nahezu allen Seiten die Richtigkeit dieser Annahme bestätigte. Aufgewachsen und normalisiert in den 60er oder 70er Jahren, brachten sie einen Naturbegriff und ein Bild von Geschichte und ethnisch-kultureller Identität mit, in welche die Hinterlassenschaft Fichtes und seiner teilweise noch schlimmeren Epigonen mühelos einrastete. Rechte Ideologen brauchten den zumeist ernst gemeinten Protest lediglich nachzuplappern (wie sie es heute, in den Tagen von Hartz IV, auch tun) um mit Naturreligiösen in Kontakt zu kommen. Die Öffentlichkeit, die dann die Alarmglocken läutete, aber zumeist beispielsweise am deutschen Staatsbürgerrecht nicht das Geringste auszusetzen fand, prügelte vehement auf ihren eigenen Schatten ein. Dieser Schatten zu sein ist eine der wichtigsten Funktionen von Randgruppen im Zeitalter der Disziplinarapparate.

Diejenigen, die sagen, das naturreligiöse Unterfangen sei a priori ein rechtsextremistisches und müsse immer zum Rechtsextremismus führen, hätten nur dann recht, wenn die nationalistische Geschichte die "wahre" Geschichte wäre. Sie ist es nicht. Sie ist lediglich ein Konstrukt, erschaffen zu ganz bestimmten Zwecken, für deren Ablehnung es auch noch ganz andere Gründe gibt als die Bekämpfung eines pseudoreligiösen Rechtsextremismus. Einer dieser Gründe ist, dass sich auch der gesamtgesellschaftliche Rechtsextremismus auf die nationalistische Geschichte und ihre Völker und Nationen stützt. Ein weiterer ist, dass wir vielleicht selbst entscheiden sollten, wer wir sein wollen, statt uns von Politikern und Ideologen unter einem "wir" konstituieren zu lassen, das uns mit Menschen zusammenpfercht, mit denen wir nichts zu schaffen haben wollen, und Grenzen zwischen uns und anderen aufrichtet, die mit uns Gemeinsamkeiten aufweisen. Wir sind erwachsen, wir können selbst entscheiden, wem wir uns zugehörig fühlen und wem nicht.

Das ist vielleicht wichtiger, als es den Anschein hat. Ich habe mich bemüht, zu zeigen, dass es für die Rahmenbedingungen unseres Lebens bis in die Alltäglichkeiten hinein nicht unbedeutend ist, wie die vorherrschende Vorstellung von ethnischer Identität und Zugehörigkeit beschaffen sind. Wir sollten es nicht den Politikern und Wirtschaftsmagnaten überlassen, "Europa" zu konstituieren, denn dabei geht es darum, wie wir heute und zukünftig leben. << Rückbezug auf die Vergangenheit | Liste Nach Autoren | Nemenyi's merits >>

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Óskmejyar Teil 1 - Die Walküren in der Helgaquiða Hundingsbana I (von Hans Schuhmacher)
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