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Hans Schumacher Mythos
28.04.2017, 09:55

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Anmerkungen zum Thema Mythos

von Hans Schumacher, im Namen und Auftrag des Rabenclan - Arbeitskreis für Heiden in Deutschland e.V.
- Alle Rechte beim Autor -

1. Anstelle einer Einleitung

"Man hat mir oft vorgeworfen, ein Antihumanist zu sein. Ich glaube nicht, daß das stimmt. Aber wogegen ich rebelliere und was ich für schädlich halte, das ist jener schamlose Humanismus, der teils aus der jüdisch-christlichen Tradition, teils aus der Renaissance und dem Cartesianismus stammt und den Menschen zum Gebieter, zum absoluten Herrn der Schöpfung macht.

Ich glaube, all die Tragödien, die wir erlebt haben - erst mit dem Kolonialismus, dann mit dem Faschismus und zuletzt mit den Vernichtungslagern - stehen nicht im Gegensatz oder im Widerspruch zu dem angeblichen Humanismus in der Form, wie wir ihn seit mehreren Jahrhunderten praktizieren, sondern sie sind, möchte ich sagen, fast seine natürliche Folge. Denn es läuft ja auf ein und dasselbe hinaus: Wenn der Mensch erst die Grenze seiner Vorrechte zwischen sich und den anderen Arten zieht und dann diese Grenze ins Innere der eigenen Spezies verschiebt, bestimmte Kategorien als allein wahrhaft menschlich anerkennt - im Unterschied zu anderen Kategorien, die als minderwertig eingestuft werden -, läuft das nach demselben Schema wie bei der Unterscheidung zwischen den Menschen und den anderen Lebewesen. Das ist die wahre Erbsünde; sie treibt die Menschheit zu Selbstzerstörung.

Die Achtung des Menschen vor dem Menschen kann sich nicht auf eine besondere Würde gründen, die die Menschheit sich selbst zuschreibt, denn dann kann stets ein Teil der Menschheit behaupten, diese Würde in höherem Maße zu besitzen als die übrigen. Man müßte vielmehr von einer prinzipiellen Demut ausgehen: Wenn der Mensch alle anderen Lebewesen achtet, schützt er sich vor der Gefahr, nicht alle menschlichen Lebensformen gleichermaßen zu achten."

2. Thematische Kurzübersicht des Ariosophieprojekts

Das Ariosophieprojekt, ursprünglich in Auftrag gegeben, um faschistische und rassistische Strömungen im Neuheidentum aufzudecken und zu untersuchen, muß, um seiner Aufgabe gerecht werden zu können, von seinem eigentlichen Themenkreis ausgehend in immer weitere Bereiche vorstoßen. Mit einer isolierten Betrachtung der Kernproblematik wäre niemandem wirklich gedient: Ariosophie ist sozusagen ein Symptom, eine Wirkung komplexer Ursachenkonstellationen. Sie zieht zwar mannigfaltige Verzweigungen und Auswirkungen nach sich, die sich mit anderen Strukturen teils vernetzen, teils verheddern - wirklich verstanden und demzufolge radikal ausgetilgt kann sie aber nur werden, wenn man sie als Folge anderer problematischer Entwicklungen versteht und diese ebenfalls entsprechend untersucht. Außerdem ist das Entstehen eines schiefen Bildes zu befürchten: Isoliert behandelt könnte die Ariosophie auch als isoliertes Phänomen gesehen werden, was inkorrekt wäre - und darüber hinaus ähnlichen Ideologien, die lediglich etwas geschickter formuliert werden müßten, gewissermaßen Tür und Tor öffnen würde, da diese ja nicht ariosophisch wären. Eine politische Typologie, d.h. ein Kriterienkatalog, an welchem man die Ariosophie erkennt, reicht also keineswegs aus. Diese Arbeit will gründlich getan sein.

Weiterhin haben wir ja bereits gesehen, daß z.B. Wechselwirkungen von ariosophischen Machtstrukturen in der Heidenszene einerseits und der destruktiven - hier insbesondere der "linken" Kritik am Heidentum andererseits - herausgestellt werden müssen.

Desweiteren muß die historische Dimension sowohl der Ariosophie und ihrer Vorläufer als auch der politischen Gegebenheiten (Kolonialismus, Imperialismus, Nazi-Faschismus) gesehen und erschlossen werden. So hat die Theosophie selbstverständlich nicht den Kolonialismus hervorgebracht und war auch nicht dessen offizielle Ideologie. Der Kolonialismus mußte aber keineswegs zwangsläufig die Theosophie hervorbringen - und die Frage, wie und warum dies geschah, kann hier nicht als überflüssig angesehen werden. Das Ariosophieprojekt hat also bereits ein historisches Arbeitsfeld zusätzlich zum aktuellen, welches natürlich nicht vernachlässigt werden kann. Außerdem muß aufgrund der Informationsdefizite in der Öffentlichkeit - bei der Heidenszene von Defiziten zu sprechen wäre euphemistisch - der Ariosophie auch insofern der Boden entzogen werden, als der Nachweis geführt werden muß, daß sämtliche pseudohistorische, pseudokulturwissenschaftliche, pseudoaltertumswissenschaftliche usw. Lehren, Doktrinen und Aussagen der Ariosophie, alte europäische Kulturen betreffend, null und nichtig sind. Nicht eine einzige ariosophische Geschichtsprojektion hält einer Überprüfung stand. Trotzdem scheinen weite Teile der Öffentlichkeit - wiederum nicht zu sprechen von der Heidenszene - nicht imstande zu sein, ariosophische pseudohistorische Szenarien von den Ergebnissen der Fachwissenschaft zu trennen, da beide weitgehend unbekannt sind. Es wird also notwendig sein, zum einen Arbeiten zu verfassen, die primär die historische Wahrheit anhand des aktuellen Forschungsstandes zumindest umreißen - zum anderen aber auch, die entsprechenden ariosophischen Projektionen als Kontrast daneben zu stellen. Dies gilt aus Gründen, die hier keiner weiteren Erläuterung bedürfen, insbesondere für die Germanenforschung. Eine Arbeit, die die Unvereinbarkeit der germanischen Kultur mit Rassismus zum Thema hat, wird bereits erstellt.

Aber auch dies reicht noch nicht aus. In diesem Artikel möchte ich einige neue Themen anschneiden, von denen mir das Thema Mythos derzeit als zentral erscheint. Dieser Text ist keine Einzeluntersuchung irgendeines Themenkomplexes, er ist vielmehr eine Sammlung von Thesen und Beobachtungen, die die noch vorzunehmenden Untersuchungen einleiten sollen.

3. Der Antagonismus von Ariosophie und Naturreligion

In "Ariosophie - ein Überblick" haben wir gesehen, daß die Lehre der kosmischen Hierarchie, welche die Ariosophie von der Theosophie übernommen hat, das eigentlich zentrale Element dieser Ideologien ist: Sie wird auf die Natur und den Menschen übertragen, letzteres ist die Grundlage des spezifisch ariosophischen Rassismus. Da aber aller Rassismus Über- und Unterlegenheitsideologie ist, vernetzt er sich leicht mit Rassismusformen anderer Provenienz. Die politische Dimension kann nicht übersehen werden: Auf der Grundlage der kosmischen Hierarchie werden autoritäre bis totalitäre Systeme propagiert; List und Liebenfels, die uns hier hauptsächlich interessieren, taten dies ausdrücklich. Der Armanenorden folgt ihnen zumindest insofern, als er eine hierarchisch-aristokratische Gesellschaft propagiert, in der insbesondere Machtstellungen von der "Bewußtseinsstufe" des Einzelnen abhängen, welche ja in der Ariosophie mit rassistischen Kriterien untrennbar verbunden sind. Diese Gesellschaftsordnung mache Politik unnötig und sei die "Urdemokratie". Halten wir fest: Ariosophen präsentieren uns eine ihrer Meinung nach ideale Gesellschaft, die zumindest ein nach rassistischen Kriterien gestaffeltes Kastensystem ist: eine Theokratie, die sie als Demokratie bezeichnen. Dies ist in der Tat die schlüssige Konsequenz des ariosophischen Kosmos-, Natur- und Menschenbildes.

Naturreligionen als solche - d.h. diejenigen Naturreligionen, die die Ethnologie heute noch bei den letzten "primitiven" Gesellschaften vorfindet –, haben niemals ein System kosmischer Hierarchie und werden von Gesellschaften praktiziert, die vollkommen herrschaftslos sind oder zumindest keinerlei Zentralgewalt aufweisen.

Zumindest ähnliche Verhältnisse können bei alten europäischen Gesellschaften durchaus vorausgesetzt werden, da es für Stammesgesellschaften, insbesondere solche mit segmentärer Struktur, offenbar weltweit gültige Kriterien gibt.

Hier fällt vor allem folgende Übereinstimmung ins Auge: Herrschaftslose "primitive" Gesellschaften haben Vorstellungen vom "Übernatürlichen" (der Begriff ist hier eigentlich unangebracht, da zwischen sichtbarer und unsichtbarer Natur nicht getrennt wird) und somit auch von der Natur selbst, die der Ordnung ihrer eigenen Gesellschaften entsprechen. Es gibt keine Herrschaft: Auch die Götter sind in das Gesamtgefüge eingebunden und keineswegs allmächtig. Die Ariosophie ist eine Ideologie, die eine kosmische Hierarchie propagiert und konsequenterweise für ein entsprechendes Gesellschaftssystem eintritt. Folgerichtig bediente sich das derzeit schlimmste Terrorregime der Geschichte, der deutsche Faschismus, der Ariosophie.

Hieraus läßt sich folgende These ableiten: Eine egalitäre Gesellschaft hat eine Mythologie, in der das Element der prinzipiellen Gleichheit zentral ist - Naturbild und Mythologie sind hier nicht zu trennen. Eine autoritär-rassistische Pseudoreligion dagegen hat eine Mythologie der kosmischen Hierarchie: ein darwinistisches, also nach Wertigkeit unterscheidendes Naturbild, eine autoritäre, d.h. nach Rang und Grad gestaffelte Organisationsform und strebt eine autoritäre Gesellschaft an bzw. unterstützt derartige Systeme. In beiden Fällen herrscht strukturelle Übereinstimmung, d.h. autoritäres Weltbild - autoritäre Organisation bzw. egalitäres Weltbild - egalitäre Organisation.

Wir haben hier folgenden Antagonismus vor uns: Das Prinzip der Herrschaft und Überlegenheit gegen das Prinzip der prinzipiellen Gleichheit und Gleichwertigkeit. In Naturreligionen gilt der Grundsatz, daß Götter nicht über Menschen, Menschen nicht über Tiere und Pflanzen - und demzufolge Menschen nicht über Menschen herrschen. Die Ariosophie bietet nichts als eine horizontale Schichtung vom "Höchsten" bis zum "Niedrigsten", aus der die Herrschaft des Menschen über den Menschen zwangsläufig folgt und sogar Demokratie genannt werden kann.

Es ist also zweifelsfrei klar, daß Ariosophie nicht nur keine Naturreligion sein kann, sondern daß Ariosophie und Naturreligion sich gegenseitig ausschließen. Das eine ist das Gegenteil des anderen - und nicht etwa, wie uns Ariosophen und Vertreter diverser Antifa-Gruppen gleichermaßen weismachen wollen, das gleiche.

Angesichts dieser Tatsache ist es außerordentlich erstaunlich, daß bislang offenbar niemand diesem fundamentalen Gegensatz besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat.

4. Vom korrekten Umgang mit Mythen

Heidentum ist unter anderem Beschäftigung mit Mythen. Was wir hier und heute unter Heidentum verstehen, ist in erster Linie theoretische und praktische Interpretation alter, zumeist zentral- und nordeuropäischer Mythen - das heißt, alte Mythologien werden insofern wiederbelebt, als moderne Menschen sie für sich als wahr anerkennen, sie entsprechend ihrer Bedürfnisse interpretieren und zum Teil ihr Leben danach ausrichten. Da Mythen und Mythologien Beschreibungen sind, die für den, der an sie glaubt bzw. sie spirituell erlebt, das ganze Universum – d.h. das persönliche, subjektive Universum - ordnen und gliedern und außerdem Gesetzmäßigkeiten lehren und darauf bezogene Werte transportieren (da sie schließlich ein Ordnungssystem für alle Wahrnehmung sind und daher an zentraler Stelle auf Handlungen Einfluß haben), ist dies eine Beschäftigung, mit der nicht leichtfertig umgegangen werden sollte.

Mythen haben aber auch einen Kontext. "Man kann nur an der Mythologie jener Völker arbeiten, deren technisches und wirtschaftliches Niveau, geographisches Milieu, soziale Institutionen und deren Kunst sowie alles, worauf sich ihr theoretisches Denken stützt, bekannt ist." Ansonsten ist die Fehlinterpretation nämlich vorprogrammiert - was in der Forschung zu falschen Schlußfolgerungen führt, bei der wie im Heidentum üblichen Beschäftigung mit Mythen jedoch katastrophale Ergebnisse (individuell wie kollektiv) nach sich ziehen kann und dies meist auch tut.

Jedes einzelne Element eines Mythos hat in der Gesellschaft, zu welcher der Mythos gehört, eine konkrete Bedeutung und Funktion. Korrekter Umgang mit Mythen setzt diese Erkenntnis sowie entsprechende Sorgfalt bei der Arbeit voraus, die zunächst eine wissenschaftliche Arbeit sein muß. Wenn man von germanischen und keltischen Gesellschaften keine Ahnung hat, kann man auch ihre Mythen nicht korrekt interpretieren, ja man kann sie nicht einmal verstehen. Was bleibt, ist bestenfalls ein Herumraten, dessen Ergebnisse sich als Grundlage des persönlichen Lebens nicht gerade anbieten. In der Heidenszene erlebt man es jedoch, daß persönliche Grundsatzentscheidungen auf einer Basis gefällt werden, auf der man sich hüten würde, eine Seminararbeit zu schreiben, die ja letztlich nur Papier ist.

Bezüglich heidnisch-naturreligiöser Mythologien ist natürlich das Naturbild von entscheidender Bedeutung. Hiermit soll nicht gesagt sein, daß dies bei anderen Mythologien und Weltanschauungen nicht der Fall wäre - anscheinend bildet das Naturbild bzw. dessen zentrale Thesen auch und gerade bei Mythologien und Ideologien, welche von der "gefallenen", "verworfenen", "niederen" und/oder vom Menschen sich untertan zu machenden Natur ausgehen, den Schlüssel zum wahren Charakter dieser Lehren, insbesondere wenn die These von der strukturellen Übereinstimmung zur Anwendung kommt. Diese muß, geht es um Heidentum, aber unbedingt Beachtung finden: Was Naturreligion ist, hängt natürlich primär davon ab, wie die Natur wahrgenommen wird.

Auch hier finden wir einen Antagonismus vor: Das Naturbild der Ariosophie ist ein mystifizierter Darwinismus, wogegen die Ethnologie bei "primitiven" Kulturen ein prinzipiell egalitäres Naturbild vorfindet - d.h. Respekt vor allen Lebensformen hat einen sehr hohen Stellenwert, nach prinzipieller "Wertigkeit" wird nicht unterschieden. Selbstverständlich haben auch in diesen Naturreligionen verschiedene Lebensformen einen unterschiedlichen Nutzwert für den Menschen - andere, insbesondere dem Menschen gefährliche Tierarten, haben häufig einen sinistren Charakter in der Mythologie, der aber meist eine gewisse Ambivalenz aufweist: "gut" und "böse" sind der Naturreligion unverständliche Kategorien.

Der Vollständigkeit halber sei hier gesagt, daß hier nicht dem Ökoromantizismus das Wort geredet werden soll: Für einen "primitiven" Menschen ist die Natur keine Idylle, sie ist vielmehr allumfassend, das Universum. Sehr viele Mythen handeln von der Entstehung der Kultur, der Gegensatz Natur-Kultur wird hervorgehoben – und es ist die Kultur, die den Menschen von den (anderen) Tieren unterscheidet.

Soweit das naturreligiöse Naturbild, das hier lediglich des Gegensatzes zum Darwinismus halber kurz umrissen wurde (und in weiteren Arbeiten dieses Projekts unter anderem deswegen noch weiter erörtert werden wird). Der Darwinismus, bzw. derjenige Darwinismus, der in Ideologien Eingang fand und vom längst überholten Ansatz in der Naturforschung zur ideologischen Waffe wurde, hebt vor allem den Gedanken der Überlegenheit hervor. Die Natur insgesamt erscheint als "Kampf ums Dasein", in welcher das "Recht des Stärkeren" alleinige Geltung hat, ganz gleich auf welchem Wege die vermeintliche Überlegenheit auch gewonnen wurde. Hieraus läßt sich das Recht des Menschen, die Natur zu unterwerfen, mühelos ableiten.

Es kann gar nicht ausdrücklich genug gesagt werden, daß die moderne Naturwissenschaft längst ein völlig anderes Naturbild hat, das übrigens (siehe z.B. die Chaostheorie) dem naturreligiösen immer mehr ähnelt, je weiter die Forschung fortschreitet. Der Gedanke, daß alle Lebensformen mit allen vernetzt sind und ein ständiger Übergang von Ordnung in Chaos, von Chaos in Ordnung stattfindet, ist zutiefst naturreligiös.

Aufgrund der allgemeinen Unkenntnis dieses Gegensatzes gelang es den Ariosophen jedoch bislang, ihre Lehre als "Naturreligion" zu verkaufen (einige Ariosophen gebrauchen den Begriff, andere nicht) - und somit nicht nur eine Täuschung in bezug auf historische und kulturhistorische Sachverhalte zu etablieren, sondern auch den eigentlichen Charakter dessen, was Naturreligion ist, zu verdrehen und sogar ins Gegenteil zu verkehren. Es verblüfft nicht, daß für den Armanenorden der Mensch primär ein Geistwesen ist, das sich einen materiellen Körper schafft: Es ist also für den Armanen nicht etwa die Natur, die den Menschen hervorbringt – es ist der Mensch, der sich selbst in der Natur körperlich gestaltet. Dies gipfelt erwartungsgemäß darin, "daß die betreffende Seele schon einen langen Weg des erfolgreichen Aufstiegs hinter sich gebracht hat", wenn sie sich in der "weißen Rasse" verkörpert.

Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit eine zu verändernde Kausalität: Solange weder die Öffentlichkeit noch die Heidenszene weiß, was Naturreligion eigentlich ist, darf die Ariosophie dies ungestraft in ihrem Sinne definieren. Auch hier sei wieder hervorgehoben, daß die vorrangig "linke" Heidenkritik sich für die Ariosophen als außerordentlich hilfreich erwies.

Natürlich geschieht all dies nicht im luftleeren Raum. Die Problematik, die darin liegt, daß jeder Mensch, der hier und heute naturreligiös sein will, aus den Christentum kommt - oder doch zumindest aus einer christlichen Gesellschaft, in der er auch weiterhin lebt -, und das Christentum selbst eine Mythologie ist bzw. eine solche hat, kann an dieser Stelle nicht behandelt werden, wird aber im Verlauf der Arbeit an diesem Projekt noch sehr bedeutsam werden.

Daß die Ariosophie keinerlei Ansprüche auf korrekten Umgang mit den von ihr mißbrauchten Mythen anmelden kann, wurde schon mehrfach gesagt. Daß sie ideologisch und institutionell einen derart großen Raum in der Heidenszene einnimmt, erklärt sich primär aus drei Sachverhalten.

Erstens: Ein Umgang mit Mythen und Naturreligion, wie er von mir als korrekt beschrieben wird, erfordert Kompetenz und Arbeitsbereitschaft. Das Niveau der Heidenszene ist jedoch derart, daß dort nicht einmal die Namen der relevanten Wissenschaften wirklich bekannt sind, geschweige denn Arbeitsmethoden oder Inhalte. Auch und gerade "Eingeweihte" und Gruppenoberhäupter äußern sich über kulturelle Sachverhalte in einer Weise, daß es unmöglich ist, einen Kommentar dazu abzugeben, ohne in die Polemik abzugleiten. Dieses Niveau setzt zur Etablierung von Autorität nur den Willen dazu voraus - denn spätestens wenn die Autorität durch hierarchische Gruppenstruktur und entsprechende Institutionalisierung etabliert ist, ist die Frage nach Kompetenz nicht mehr wirklich stellbar. Die in diesem Sinne optimale Struktur ist die Einweihungshierarchie in Graden, die - ob des "geheimnisvollen" Charakters ebendieser Einweihungen - Willkür, Autoritätsgläubigkeit und systematischer Indoktrination und Gehirnwäsche ideale Voraussetzungen bietet. Die Ideologie der Organisation macht ein Hinterfragen der Autorität von vornherein unmöglich. Die Ariosophie ist selbst so organisiert.

Zweitens: Die hieraus resultierende Struktur der Heidenszene kann Etablierung von Alternativen nicht dulden. Es gilt hier alles schon vorher über den von mir sogenannten "Armanenblock" Gesagte, der tatsächlich mit dem Filz der neben- und untereinander existierenden Einweihungspyramiden weitgehend identisch ist. Echte, vor allem nachprüfbare Kompetenz, zumal mit der - verdienten oder unverdienten - Autorität der Wissenschaft im Rücken, gefährdet die Struktur und führt eine Grundsatzkrise herbei. Daher wachen die Führer der Heidenszene über ihr Monopol und würgen Alternativen ab.

Drittens: Bislang bestand der lauteste, wenn auch bei weitem nicht qualifizierteste Kommentar "von außen" (von der Heidenszene aus gesehen) aus der Gleichsetzung von Ariosophie bzw. Rassismus, rechter Ideologie etc. mit Heidentum. Dies führt lediglich zur Zementierung der Zustände.

Wie im obigen Abschnitt über Naturreligion im Gegensatz zur Ariosophie zeigt sich hier, wie die Art und Qualität inhaltlicher Arbeit von strukturellen Faktoren abhängt. Wenn ich über die Schwierigkeiten beim Umgang mit Mythen schreiben will, muß ich, um dies der aktuellen Situation angemessen tun zu können, Dinge wiederholen, die ich in bezug auf die Ariosophie bereits gesagt habe. Wenden wir aber die oben formulierte These der strukturellen Übereinstimmung auf dieses Problem an, so sehen wir, daß Einweihungshierarchie mit pyramidenförmigem Aufbau und Naturreligion nicht miteinander vereinbar sind. Eine Einweihungspyramide lehrt die Ideologie ihrer Selbstrechtfertigung - und benutzt sie dazu die Mythologie einer Naturreligion, dann verfälscht sie sie. Ein autoritäres System kann keine egalitäre Religion haben, Naturreligion aber ist egalitär.

5. Mythos und Anti-Mythos

Am Schluß dieses Artikels möchte ich lediglich eine These formulieren, die alle weitere Arbeit an diesem Projekt sehr entscheidend mitgestalten wird. Sie gründet sich auf theoretischen Überlegungen meinerseits sowie auf Beobachtungen, die ich im Verlauf dieser Arbeit machte. Häufig befand ich mich in der Situation, daß ich es war, der über Religion sprach, und meine Gesprächspartner sprachen über Politik und Wissenschaft. Ich behaupte jetzt, daß dies nur scheinbar der Fall war - ja, daß es sich in manchen Fällen umgekehrt verhielt. Ich behaupte, hiervon ausgehend, daß es gar keinen Dissens zwischen Menschen mit einer mythischen Religion einerseits und sozusagen mythologielosen Rationalisten andererseits gibt, sondern lediglich einen Dissens zwischen Anhängern verschiedener Religionen mit verschiedenen Mythologien.

Hierzu eine Anekdote: Anläßlich der Koblenzer Sommeruniversität 1996 kam es zwischen Sven Scholz, der über die germanische Kultur sprach, und einem Antifa-Mitglied zu einem Dialog über das germanische Königtum. Das Antifamitglied unterstellte uns, wir wollten eine aristokratische Gesellschaft etablieren, da die Germanen ja Könige hatten. Sven Scholz sowie der Historiker Hermann Ritter und ich erläuterten dem Antifa-Mitglied strukturelle Merkmale von Stammesgesellschaften, Sakralkönigtum und andere bei dieser Thematik vorauszusetzende Sachverhalte. Nach herkömmlicher Vorstellung wäre zu erwarten gewesen, daß der Rationalist die abergläubischen Heiden über Geschichte und Kulturanthropologie belehrt. Was aber geschah, war, daß zwei Goden und ein Angehöriger der Vaya-Tradition die wissenschaftlichen Argumente beibrachten - während es der Rationalist war, dessen Auffassungen sich als Aberglauben erwiesen. Dies ist kein Einzelfall.

Bislang waren es die vorgeblichen Rationalisten, die angeblich die Heiden untersuchten und Arbeiten über sie schrieben. Eine Arbeit über Mythen und ihre Wirkungsweise im Ariosophieprojekt aber muß meines Erachtens nicht nur naturreligiöse Mythen und deren ariosophischen Mißbrauch untersuchen, sondern auch die Mythologien der Gesellschaft, in der der Konflikt zwischen Naturreligiösen und Ariosophen sich abspielt - schon allein weil es zwischen diesen allen Wechselwirkungen gibt. Für uns von besonderer Bedeutung werden sein: der Mythos der linearen Entwicklung, der Mythos der determinierten Geschichte und vor allem der Humanismus.

Letzteres ist dringend erforderlich hauptsächlich aus drei Gründen, deren erster die oben angesprochenen Wechselwirkungen sind. Weiterhin kann es nicht angehen, daß uns ständig Überzeugungen unterstellt werden, die wir gar nicht hegen, und zwar nicht nur wegen allgemeiner Unkenntnis, die von uns vertretenen Inhalte betreffend, sondern auch wegen fortwährender Projektionen der Mythologien der anderen auf unsere. Als ich zum Beispiel in Koblenz sagte, daß die Natur alles richtig mache (ich verweise hier auf das oben zum naturreligiösen Naturbild Gesagte), beschuldigte mich ein Mitglied der Darmstädter Antifa, ich wolle Behinderte töten. Es ist bestürzend genug, feststellen zu müssen, daß ein politisch gebildeter Mensch solch ein Naturbild hat. Er postuliert nämlich damit die grausame, darwinistische Natur, der er als "guter Mensch" Fesseln anlegen muß. Auch darüber, daß "Behinderungen" von den sogenannten "Primitiven" ganz anders wahrgenommen werden - und zwar mitnichten als Kriterien der Minderwertigkeit-, mußte er speziell belehrt werden.

Es muß also untersucht werden, warum Angehörige derartiger Gruppierungen ausschließlich das darwinistische Naturbild kennen (auch hier sei wieder auf den obigen Abschnitt verwiesen) und es für wahr halten; ferner, ob es etwa noch mehr Berührungspunkte mit der Ariosophie gibt. Dies wird ohne umfassende Erörterung nicht möglich sein.

Schließlich - der dritte Grund - tragen wir als Bürger einer Demokratie Verantwortung für diese. Sollte es sich im Verlauf der Untersuchung herausstellen, daß den bürgerlichen und linken Mythen zerstörerisches Potential innewohnt - was in der Tat zu befürchten ist -, so ist es an der Zeit, Mittel und Wege zu ersinnen, eben den mythischen Charakter dieser Mythen aufzuzeigen, damit die Suche nach Alternativen beginnen kann.

Hans Schuhmacher (Thurshöggr Hjórwardr Dróttinn Goði), im März 1997.

Alle Rechte verbleiben beim Autor.

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