Rabenclan

Verein zur Weiterentwicklung heidnischer Traditionen e.V.

Magazin
Heinrich Heine Elementargeister 7
28.04.2017, 09:55

Startseite
Wir über uns
Kontakt
Mitglied werden
Pressestelle
Heidentum
Magazin

Aktuelles
Forum
Joculatorium
Links

Bearbeiten
Suchen



© Copyright 2003-2024 rabenclan.de

Das Internet-Magazin des Rabenclans

Meinungen und Äußerungen der Magazin-Artikel sind, soweit nicht im Artikel selbst anderweitig gekennzeichnet, keine Verlautbarungen des Vereins und liegen somit ausschließlich in der Verantwortung der Autoren.

<< Der Teufel | Liste Nach Autoren | Die verbannten Göttinnen >>

Zurück zu Der Teufel
Zurück zur Inhaltsübersicht des Textes

Elementargeister

von Heinrich Heine (veröffentlicht 1837)


Heidentum und Christentum

Es ist eine eigne Sache um die Schriftstellerey. Der Eine hat Glück in der Ausübung derselben, der Andre hat Unglück. Das schlimmste Mißgeschick trifft vielleicht meinen armen Freund Hinrich Kitzler, Magister Artium zu Göttingen. Keiner dort ist so gelehrt, keiner so ideenreich, keiner so fleißig wie dieser Freund, und dennoch ist bis auf dieser Stunde noch kein Buch von ihm auf der leipziger Messe zum Vorschein gekommen. Der alte Stiefel auf der Bibliothek lächelte immer wenn Hinrich Kitzler ihn um ein Buch bat, dessen er sehr bedürftig sey für ein Werk, welches er eben unter der Feder habe. Es wird noch lange unter der Feder bleiben! murmelte dann der alte Stiefel während er die Bücherleiter hinaufstieg. Sogar die Köchinnen lächelten, wenn sie auf der Bibliothek die Bücher abholten: "für den Kitzler." Der Mann galt allgemein für einen Esel, und im Grunde war er nur ein ehrlicher Mann. Keiner kannte die wahre Ursache warum nie ein Buch von ihm herauskam, und nur durch Zufall entdeckte ich sie, als ich ihn einst um Mitternacht besuchte, um mein Licht bey ihm anzuzünden; denn er war mein Stubennachbar. Er hatte eben sein großes Werk über die Vortrefflichkeit des Christenthums vollendet; aber er schien sich darob keineswegs zu freuen und betrachtete mit Wehrnuth sein Manuskript. Nun wird dein Name doch endlich, sprach ich zu ihm, im Leipziger Meßkatalog unter den fertig gewordenen Büchern prangen! Ach nein, seufzte er aus tiefster Brust, auch dieses Werk werde ich ins Feuer werfen müssen, wie die vorigen ... Und nun vertraute er mir sein schreckliches Geheimniß. Den armen Magister traf wirklich das schlimmste Mißgeschick, jedesmal wenn er ein Buch schrieb. Nachdem er nemlich für das Thema, das er beweisen wollte, alle seine Gründe entwickelt, glaubte er sich verpflichtet die Einwürfe, die etwa ein Gegner anführen könnte, ebenfalls mitzutheilen; er ergrübelte alsdann vorn entgegengesetzten Standpunkte aus die scharfsinnigsten Argumente, und indem diese unbewußt in seinem Gemüthe Wurzel faßten, geschah es immer, daß, wenn das Buch fertig war, die Meinungen des armen Verfassers sich allmählig umgewandelt hatten, und eine dem Buche ganz entgegengesetzte Ueberzeugung in seinem Geiste erwachte. Er war alsdann auch ehrlich genug (wie ein französischer Schriftsteller ebenfalls handeln würde) den Lorbeer des literarischen Ruhmes auf dem Altare der Wahrheit zu opfern, d. h. sein Manuskript ins Feuer zu werfen. Darum seufzte er aus so tiefster Brust, als er die Vortrefflichkeit des Christenthums bewiesen hatte. Da habe ich nun, sprach er traurig, zwanzig Körbe Kirchenväter exzerpirt; da habe ich nun ganze Nächte am Studiertische gehockt und Akta Sanktorum gelesen, während auf deiner Stube Punsch getrunken und der Landesvater gesungen wurde; da habe ich nun für theologische Novitäten, deren ich zu meinem Werke bedurfte, 38 sauer erworbene Thaler an Vandenhoek et Rupprecht bezahlt, statt mir für das Geld einen Pfeifenkopf zu kaufen; da habe ich nun gearbeitet wie ein Hund seit zwey Jahren, zwey kostbaren Lebensjahren ... und alles um mich lächerlich zu machen, um wie ein ertappter Praler die Augen niederzuschlagen, wenn die Frau Kirchenräthinn Plank mich fragt: wann wird Ihre Vortrefflichkeit des Christenthums herauskommen? Ach! das Buch ist fertig, fuhr der arme Mann fort, und würde auch dem Publikum gefallen; denn ich habe den Sieg des Christenthums über das Heidenthum darinn verherrlicht und ich habe bewiesen, daß dadurch auch die Wahrheit und die Vernunft über Heucheley und Wahnsinn gesiegt. Aber, ich Unglückseligster, in tiefster Brust fühle ich daß - - -

Sprich nicht weiter! rief ich mit gerechter Entrüstung, wage nicht, Verblendeter, das Erhabene zu schwärzen und das Glänzende in den Staub zu ziehn! Wenn du auch die Wunder des Evangeliums läugnen möchtest, so kannst du doch nicht läugnen, daß der Sieg des Evangeliums selber ein Wunder war. Eine kleine Schaar wehrloser Menschen drang in die große Römerwelt, trotzte ihren Schergen und Weisen, und triumphirte durch das bloße Wort. Aber welch ein Wort! Das morsche Heidenthum erbebte und krachte bey dem Worte dieser fremden Männer und Frauen, die ein neues Himmelreich ankündigten und nichts fürchteten auf der alten Erde, nicht die Tatzen der wilden Thiere, nicht den Grimm der noch wilderen Mensehen, nicht das Schwert, nicht die Flamme ... denn sie selber waren Schwert und Flamme, Flamme und Schwert Gottes! Dieses Schwert hat das welke Laub und dürre Reisig abgeschlagen von dem Baume des Lebens und dadurch geheilt von der einfressenden Fäulniß; diese Flamme hat den erstarrten Stamm; wieder von innen erwärmt, daß frisches Laub und duftige Blüthen hervorsproßten ... es ist die schauerlich erhabenste Erscheinung der Weltgeschichte dieses erste Auftreten des Christenthums, sein Kampf und sein vollkommener Sieg.

Ich sprach diese Worte mit desto würdigerem Ausdruck, da ich an jenem Abend sehr viel Eimbecker Bier zu mir genommen hatte, und meine Stimme desto volltönender erscholl.

Hinrich Kitzler ließ sich aber dadurch keineswegs verblüffen, und mit einem ironisch schmerzlichen Lächeln sprach er: Bruderherz! gieb dir keine überflüssige Mühe. Alles was du jetzt sagst, habe ich selber, in diesem Manuskripte, weit besser und weit gründlicher aus einandergesetzt. Hier habe ich den verworfenen Weltzustand zur Zeit des Heidenthums aufs grellste ausgemalt, und ich darf mir schmeicheln, daß meine kühnen Pinselstriche an die Werke der besten Kirchenväter erinnern. Ich habe gezeigt, wie lasterhaft die Griechen und Römer geworden, durch das böse Beyspiel jener Götter, welche, nach den Schandthaten die man ihnen nachsagte, kaum würdig gewesen wären für Menschen zu gelten. Ich habe unumwunden ausgesprochen, daß sogar Jupiter, der oberste der Götter, nach dem königl. hannövrischen Criminalrechte, hundertmal das Zuchthaus, wo nicht gar den Galgen, verdient hätte. Dagegen habe ich die Moralsprüche, die im Evangelium vorkommen, gehörig paraphrasirt und gezeigt, wie, nach dem Muster ihres göttlichen Vorbilds, die ersten Christen, trotz der Verachtung und Verfolgung, welche sie dafür erduldeten, nur die schönste Sittenreinheit gelehrt und ausgeübt haben. Das ist die schönste Parthie meines Werks, wo ich begeisterungsvoll schildere, wie das junge Christenthum, der kleine David, mit dem alten Heidenthum in die Schranken tritt und diesen großen Goliath tödtet. Aber ach! dieser Zweykampf erscheint mir seitdem in einem sonderbaren Lichte - - - Ach! alle Lust und Liebe für meine Apologie versiegte mir in der Brust, als ich mir lebhaft ausdachte, wie etwa ein Gegner den Triumph des Evangeliums schildern könnte. Zu meinem Unglück fielen mir einige neuere Schriftsteller, z. B. Edward Gibbon, in die Hände, die sich eben nicht besonders günstig über jenen Sieg, aussprachen und nicht sehr davon erbaut schienen, daß die Christen, wo das geistige Schwert und die geistige Flamme nicht hinreichten, zu dem weltlichen Schwert und der weltlichen Flamme ihre Zuflucht nahmen. Ja, ich muß gestehen, daß mich endlich für die Reste des Heidenthums, jene schönen Tempel und Statuen, ein schauerliches Mitleid anwandelte; denn sie gehörten nicht mehr der Religion, die schon lange, lange vor Christi Geburt, todt war, sondern sie gehörten der Kunst, die da ewig lebt. Es trat mir einst feucht in die Augen, als ich zufällig auf der Bibliothek "die Schutzrede für die Tempel" las, worinn, der alte Grieche Libanius die frommen Barbaren aufs Schmerzlichste beschwor, jene theuren Meisterwerke zu schonen, womit der bildende Geist der Hellenen die Welt verziert hatte. Aber vergebens! jene Denkmäler einer Frühlingsperiode der Menschheit, die nie wiederkehren wird und die nur einmal hervorblühen konnte, gingen unwiederbringlich zu Grunde, durch den schwarzen Zerstörungseifer der Christen - - - Nein, fuhr der Magister fort in seiner Rede, ich will nicht nachträglich, durch Herausgabe dieses Buches, Theil nehmen an solchem Frevel, nein, das will ich nimmermehr ... Und Euch, Ihr zerschlagenen Statuen der Schönheit, Euch Ihr Manen der todten Götter, Euch die Ihr nur noch liebliche Traumbilder seyd im Schattenreiche der Poesie, Euch opfere ich dieses Buch!

Bey diesen Worten warf Hinrich Kitzler sein Manuskript in die Flammen des Kamines, und von der Vortrefflichkeit des Christenthums blieb nichts übrig als graue Asche. -

Dieses geschah zu Göttingen im Winter 1820, einige Tage vor jener verhängnißvollen Neujahrsnacht, wo der Pedell Doris die fürchterlichsten Prügel bekommen und zwischen der Burschenschaft und den Landsmannschaften fünf und achtzig Duelle kontrahirt wurden. Es waren fürchterliche Prügel, die damals, wie ein hölzerner Platzregen, auf den breiten Rücken des armen Pedells herabfielen. Aber als guter Christ tröstete er sich mit der Ueberzeugung, daß wir dort oben im Himmel einst entschädigt werden für die Schmerzen, die wir unverdienterweise hienieden erduldet haben. Das ist nun lange her. Der alte Doris hat längst ausgeduldet und schlummert in seiner friedlichen Ruhestätte vor dem Weender Thore. Die zwey großen Partheyen, die einst die Wahlplätze von Bovden, Ritschenkrug und Rasenmühle mit dem Schwertergeklirr ihrer Polemik erfüllten, haben längst, im Gefühl ihrer gemeinschaftlichen Nichtigkeit, aufs zärtlichste Brüderschaft getrunken; und auf den Schreiber dieser Blätter hat ebenfalls das Gesetz der Zeit seinen mächtigen Einfluß geübt. In meinem Hirne gaukeln minder heitere Farben als damals, und mein Herz ist schwer geworden; wo ich einst lachte, weine ich jetzt, und ich verbrenne mit Unmuth die Altarbilder meiner ehemaligen Andacht.

Es gab eine Zeit, wo ich jedem Kapuziner, dem ich auf der Straße begegnete, gläubig die Hand küßte. Ich war ein Kind, und mein Vater ließ mich ruhig gewähren, wohl wissend, daß meine Lippen sich nicht immer mit Kapuzinerfleisch begnügen würden. Und in der That, ich wurde größer und küßte schöne Frauen... Aber sie sahen mich manchmal an mit so bleichem Schmerze, und ich erschrak in den Armen der Freude ... Hier war ein Unglück verborgen, das niemand sah und woran jeder litt; und ich dachte drüber nach. Ich habe auch drüber nachgedacht, ob Entbehrung und Entsagung wirklich allen Genüssen dieser Erde vorzuziehen sey, und ob diejenigen, die hienieden sich mit Disteln begnügt haben, dort oben desto reichlicher mit Ananassen gespeist werden? Nein, wer Disteln gegessen, war ein Esel; und wer die Prügel bekommen hat, der behält sie. Armer Doris!

Doch es ist mir nicht erlaubt mit bestimmten Worten hier von allen den Dingen zu reden, worüber ich nachgedacht, und noch weniger ist es mir erlaubt die Resultate meines Nachdenkens mitzutheilen. Werde ich mit verschlossenen Lippen ins Grab hinabsteigen müssen, wie so manche andere?

Nur einige banale Thatsachen sind mir vielleicht vergönnt hier anzuführen, um den Fabeleyen, die ich kompilire, einige Vernünftigkeit oder wenigstens den Schein derselben einzuweben. Jene Thatsachen beziehen sich nemlich auf den Sieg des Christenthums über das Heidenthum. Ich bin gar nicht der Meinung meines Freundes Kitzler, daß die Bilderstürmerey der ersten Christen so bitter zu tadeln sey; sie konnten und durften die alten Tempel und Statuen nicht schonen, denn in diesen lebte noch jene alte griechische Heiterkeit, jene Lebenslust, die dem Christen als Teufelthum erschien. In diesen Statuen und Tempeln sah der Christ nicht bloß die Gegenstände eines fremden Cultus, eines nichtigen Irrglaubens, dem alle Realität fehle: sondern diese Tempel hielt er für die Burgen wirklicher Dämonen, und den Göttern, die diese Statuen darstellten, verlieh er eine unbestrittene Existenz; sie waren nemlich lauter Teufel. Wenn die ersten Christen sich weigerten vor den Bildsäulen der Götter zu knien und zu opfern, und deßhalb angeklagt und vor Gericht geschleppt wurden, antworteten sie immer: sie dürften keine Dämonen anbeten! Sie erduldeten lieber das Martyrthum, als daß sie vor dem Teufel Jupiter, oder vor der Teufelinn Diana, oder gar vor der Erzteufelinn Venus irgend einen Akt der Verehrung vollzogen.

Arme, griechische Philosophen! Sie konnten diesen Widerspruch niemals begreifen, wie sie auch späterhin niemals begriffen, daß sie in ihrer Polemik mit den Christen keineswegs die alte erstorbene Glaubenslehre, sondern weit lebendigere Dinge zu vertheidigen hatten. Es galt nemlich nicht die tiefere Bedeutung der Mythologie durch neoplatonische Spitzfündigkeiten zu beweisen, den erstorbenen Göttern ein neues symbolisches Lebensblut zu infusiren und sich mit den plumpen, materiellen Einwürfen der ersten Kirchenväter, die besonders über den moralischen Charakter der Götter fast voltairisch spotteten, tagtäglich abzuquälen: es galt vielmehr den Hellenismus selbst, griechische Gefühls- und Denkweise, zu vertheidigen und der Ausbreitung des Judäismus, der judäischen Gefühls- und Denkweise, entgegenzuwirken. Die Frage war: ob der trübsinnige, magere, sinnenfeindliche, übergeistige Judäismus der Nazarener, oder ob hellenische Heiterkeit, Schönheitsliebe und blühende Lebenslust in der Welt herrschen solle? Jene schönen Götter waren nicht die Hauptsache; niemand glaubte mehr an die ambrosiaduftenden Bewohner des Olymps, aber man amüsirte sich göttlich in ihren Tempeln, bey ihren Festspielen, Mysterien; da schmückte man das Haupt mit Blumen, da gab es feyerlich holde Tänze, da lagerte man sich zu freudigem Mahlen... wo nicht gar zu noch süßeren Genüssen.


Weiter zu Die verbannten Göttinnen
Zurück zur Inhaltsübersicht des Textes

<< Der Teufel | Liste Nach Autoren | Die verbannten Göttinnen >>

Mitglied im Rabenclan e.V. werden

Mitglied im Rabenclan werden?
Aktiv den Verein mitgestalten, neue Menschen kennenlernen, interne Rundbriefe erhalten, regionale Angebote nutzen, ermäßigte Teilnahme an den Veranstaltungen - wir freuen uns auf Euch!
Weitere Informationen und einen Mitgliedsantrag findet Ihr hier

News

Bücherspiegel 2016
Neue englischsprachige Monografie über (neo-)germanisches Heidentum von Stefanie von Schnurbein erschienen. Der Rabenclan wird rund ein dutzend Mal erwähnt. Mehr Informationen hier.

Kulturhistorische Beiträge

Óskmejyar Teil 1 - Die Walküren in der Helgaquiða Hundingsbana I (von Hans Schuhmacher)
Thesen zur Germanischen Frau (von Hans Schuhmacher)
Die unbekannte Tradition: Slawisches Heidentum(von Anna Kühne)

Übrigens:

Die Filtersoftware der Firma Symantec blockiert unsere Adresse.

Begründung:

Der Rabenclan verbreite jugendgefährdendes Material über Okkultismus und New Age. Wer einen Kommentar an Symatec schreiben mag, folge diesem Link: