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Jens Scholz Antisemitismus 2
28.04.2017, 09:55

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Antisemitismus

Teil 2: Das Christentum: Ursprung einer Zweitausendjährigen Hetzkampagne

Jens Scholz beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Antisemitismus. Die Tatsache, dass immer wieder in der Gesellschaft Äußerungen fallen, die deutlich machen, wie schwer die Problematik zu durchschauen ist, hat ihn bewogen, eine kleine Einführung in das Thema zu verfassen. Hier folgt der zweite Teil:

Man rückt ja eigentlich nicht gleich mit der Pointe raus, aber in diesem Fall ist sie - oder sollte sie zumindest sein - ohnehin bekannt: Der Ursprung des Antisemitismus, einer in Umfang, Hartnäckigkeit und Konsequenzen beispiellosen Diffamierungs- und Verfolgungskampagne, liegt im Christentum. Dies ist in der christlichen Theologie natürlich schon längst nicht mehr umstritten, verwunderlich aber ist es doch, dass obwohl sich die offiziellen Stellen sehr eindeutig und bewusst zu diesem Thema äußern, an der Basis der christlichen Kirchen nur selten eine Auseinandersetzung mit ihren judenfeindlichen Gründern und der eigenen Geschichte stattfindet oder schlimmer, dass die alten Vorurteile und Abgrenzungsschemata weiterhin kolportiert und gelehrt werden.

Beispiel Talionsgesetz

Eines der Lieblingszitate aus dem alten Testament, das gerne zur Beschreibung von harten Vergeltungsmaßnahmen gebraucht wird, ist das im Buch Exodus 21,24 genannte Talionsgesetz. Luther übersetzte diesen Part mit "Auge um Auge, Zahn um Zahn" und er wird als Rumpfzitat nach wie vor und immer wieder zum Beweis eines "jüdischen Gesetz(es) der Wiedervergeltung" (Jerusal. Bibel Freiburg, Fußnote) herangezogen.

In den letzten Jahren wird dieser Begriff einmal mehr inflationär bemüht, um den Vorgang einer vorchristlichen Blutrache zu beschreiben, die Herr Bush jr. exemplarisch an all den bösen Schurkenstaaten dieser Welt zu statuieren gedenkt. Auch im Zusammenhang mit dem Vorgehen der israelischen Exekutive gegen die palästinensische Bevölkerung taucht er häufig in den Medien und in den Predigten von Pfarrern und Pastoren auf. Die Idee dahinter ist eine, die jeder Mensch, der einen normalen Religionsunterricht in der Schule genossen hat, verinnerlichen konnte: Der christliche Gott des Neuen Testaments ist der gütige, liebende, vergebende - der des Alten Testaments dagegen der eifersüchtige, rachsüchtige und strenge Gott.

Gemeint ist mit dieser Thora-Stelle aber eigentlich etwas völlig anderes, nämlich: Der Schädiger muss dem Geschädigten einen Ersatz für das Organ geben, das seine Funktion ersetzt. Dies ist die Einführung des Prinzips "Wiedergutmachung statt Vergeltung" und entsprechend ungeheuerlich ist es, dass diese Bibelstelle ständig zum Beweis genau des Gegenteils herangezogen wird. Der Fehler liegt rein linguistisch in der Übersetzung des Wortes "tachat": es heißt nicht "um", sondern "an Stelle von", es ist somit überhaupt nicht vom Geschädigten die Rede, der Rache nehmen soll, sondern der Schädiger wird zur Wiedergutmachung aufgefordert. Die Abgeltung durch Schadensersatz ist nämlich schon lange vor Jesus Rechtsprinzip (Talmud BQ 83b-84a; Ketubot 38a) bekannt gewesen. Die Stelle heißt also eigentlich "Gib ein Auge für ein Auge und einen Zahn für einen Zahn".

Die den alten Juden zugeschriebene Lust auf Rache wird im Alten Testament explizit verdammt: Lev 19,18 sagt "Sei nicht rachsüchtig, (...) sondern liebe deinen Nächsten wie dich selbst" und genau diese Bibelstelle ist es, die Jesus im Neuen Testament zitiert und nicht etwa als neues Prinzip erfindet. Jesus war gläubiger Jude und hat nichts anderes verbreiten wollen als jüdischen Glauben.

Eine andere Stelle, die als Beweis für den Rachegott herhalten muss, ist Dt 32,35: "Mein ist die Ahndung" (nicht die Rache, J.S.) "spricht der Herr". Der Sinn dieser Mahnung wird, wenn sie als Beispiel für die angebliche jüdische Rachereligion verwendet wird, komplett verdreht, denn eigentlich will hier nur gesagt sein, dass Rache verboten und dem Menschen Gerechtigkeit von Gott widerfahren wird. Lev. 19,18 sagt folgerichtig "Du sollst nicht vergelten!".

Dies ist der aktuellen christlichen Theologie eigentlich wohlbekannt, dennoch wird auch heute noch im Kommunions- und Konfirmationsunterricht das Talionsgesetz in bekannt falscher Form zur bekannt unkorrekten Argumentation genutzt.

Die Gottesmörder

Dass hier ein einfacher, versehentlicher Übersetzungefehler Schuld an einem Vorurteil sein könnte, wäre eine angenehme Erklärung. Vielmehr ist jedoch Luthers Lesart natürlich einer schon längst verinnerlichten Haltung dem Judentum gegenüber geschuldet und von dieser motiviert.

Mit dem um 50 n.Chr. vermuteten Entstehungsjahr gilt als die älteste klar antisemitische Quelle der dem Apostel Paulus zugeschriebene Brief an die Thessaloniker. In ihm wird im Prinzip schon die gesamte Bandbreite antisemitischer Argumentation abgesteckt: Der Brief schildert den Christusmord als Höhepunkt einer jüdischen Tradition der Feindschaft allen anderen Menschen gegenüber, die die Juden mit Mordlust und winkeladvokatorischer Hinterlist hochmütig ausübten und noch immer ausüben. Hierfür ereilt sie am Ende dann das (dem christlich vergebenden Sinne freilich völlig entgegenstehende) Strafgericht:

"Denn, Brüder, ihr habt das Beispiel der Gemeinden Gottes nachgeahmt, die in Judäa in Jesus Christus sind, da auch ihr ebendaselbe von euren eigenen ungläubigen Volksgenossen erlitten habt wie sie von den Juden, welche auch den Herrn getötet haben, Jesus, und seine Propheten und uns verfolgt haben und die Gott nicht zu gefallen suchen und gegen alle Menschen feindselig sind indem sie, um das Maß ihrer Sünden jederzeit voll zu machen, uns verwehren, zu den Ungläubigen zu sprechen damit sie gerettet werden. Doch das Zorngericht ist endgültig über sie gekommen" (1 Thess 2,14-16)

Die christlichen Evangelien, allesamt später entstanden, haben diese Argumentation in die Biographie Jesu mit Nachdruck eingearbeitet, so dass aus der Geschichte eines jüdischen Wanderpredigers die Geschichte einer Religionsstiftung wurde. Letzteres zu tun ist für sich genommen kein problematisches oder ehrenrühriges Vorgehen, jedoch durchaus scharf zu kritisieren ist die perfide Art und Weise, mit der dies auf Kosten der Ursprungsreligion getan wurde.

Vor allem das Johannes-Evangelium tritt hier auffällig hervor, ist es doch dasjenige, in welchem die römischen Besatzer in Person des Jerusalemer Statthalters Pontius Pilatus von der Verantwortung des Todes Jesu enthoben und eine klare Schuldzuweisung an die Juden im Generellen (in den anderen Evangelien werden ja noch die Pharisäer und Sadduzäer als Jesu Gegner vorgestellt) ausgesprochen wird, indem Jesus selbst die Juden zu Kindern des Teufels erklärt:

"Nun aber sucht ihr, mich zu töten. (…) Ihr tut die Werke eures Vaters (…) und stammt vom Teufel als eurem Vater ab und wollt die Gelüste dieses euren Vaters tun. Der ist von Anfang an ein Menschenmörder und stand nicht in der Wahrheit" (Joh 8,40-44)

Hass als Abgrenzung

Worum geht es hier? Warum wurde hier ein Unterschied konstruiert, den es vorher nicht gab und der für eine Volksgruppe für die kommenden 2000 Jahre so fatale Folgen hatte? Und wie ist der politische Opportunismus gegenüber den Römern zu bewerten?

Es geht um Legitimation. Das Christentum beansprucht für sich, Erbe des alten Israel zu sein, das Judentum als die von Gott selbst gestiftete Religion und die Juden als das von Gott bevorzugte Volk abgelöst zu haben. Diese kleine, gerade erst gegründete Kirche der römischen Antike erklärte sich damit als direkte Weiterführung einer traditionsreichen, uralten Religion. Ein Anspruch, der nur dadurch begründet werden konnte, indem dieser tatsächlichen, ja noch existierenden traditionsreichen Religion die Daseinsberechtigung radikal aberkannt wurde.

Das wurde von den Vätern des Christentums wie dem römisch gebildeten Paulus als notwendig erachtet, weil die Christen in seiner hellenistisch geprägten Welt - in der das hohe Alter des Judentums als ein Siegel der Wahrheit galt, von der immerhin Philosophen wie Plato geschwärmt und gelernt hatten - keine Chance gehabt hätten, mehr zu sein als eine kleine Sippe von Häretikern.

Da man unter diesen Umständen nicht umhin kam, die alten Schriften der Tora in der neu gedeuteten Form des "Alten Testaments" beizubehalten, musste man den Juden die bis dahin unwidersprochene Deutungshoheit vor allem in Form des Talmud abnehmen. Nur das "wahre Israel" jedoch, als das sich die Kirche verstand, konnte die Schriften korrekt verstehen und bis heute werden die Juden ständig von den christlichen Kirchen mit Debatten über das rechte Schriftverständnis - die Christen nennen das dann den jüdisch-christlichen Dialog - belästigt.

Den Anfang machte Augustinus (354-430), der schon auf Grund des, dummerweise nicht stattgefundenen, erwarteten schnellen Niederganges der jüdischen Religion die Idee des Judentums als ewige Strafe einbrachte ("Er ließ sie nicht sterben sondern lebend allen zum Beispiel dienen (...) sie müssen als Juden weiterleben, solange die Kirche ihrer Zeugschaft bedarf."), ein Bild das über ein paar weitere Kirchenprominenzen bis zum 12. Jahrhundert einen festen Platz in der Kirchendogmatik und spätestens 1602 in der mythischen Gestalt des "ewigen Juden" eine Verbildlichung fand: dem Juden, der nach Joh. 18,22 Jesus beim Verhör geschlagen habe (oder in einer weiteren Version der Jude, der Jesus beim Kreuzgang nicht vor seinem Haus rasten lassen wollte) und nun zur Strafe bis zur Wiederkehr Christi unsterblich auf der Erde wandeln müsse.

1242 gab es eine zielgerichtete Kampagne von Niklaus Donin von La Rochelle gegen den Talmud, die in einer Talmudverbrennung in Paris gipfelte, da man in seinen unchristliche Bibelauslegungen den Grund für den Unglauben der Juden vermutete.

Eine weitere, neue Vehemenz brachte dann Martin Luther zu Beginn des Protestantismus ein. Der veröffentlichte 1543 seine antisemitische Hetzschrift "Von den Juden und ihren Lügen", in der er die falschen, also nicht christlich verstandenen Auslegungen der Schrift, seitens der rabbinischen Literatur als Lügen verstanden wissen wollte.

Karl-Erich Grözinger kommt zu einem entsprechend klaren Urteil:

"Die Kirche hat das Judentum enteignet und ihm seine Identität abgesprochen und für sich selbst in Anspruch genommen. Dies ist die christliche Ursünde gegen das Judentum, der Rest sind die praktischen Folgen."(1)

Es ist - und wie schon erwähnt ist die Theologie hier keineswegs anderer Meinung - eindeutig belegbar, dass die entscheidende Grundlegung des Antisemitismus von der christlichen Religion ausging. Die antijüdischen Ausbrüche in der Antike sind hiermit nicht vergleichbar, solche gelegentlichen Feindlichkeiten sind immer wieder vorgekommen, auch gegen andere Volks- oder Religionsgruppen und auch seitens der jüdischen Völker.

Nein, mit dem Christentum ist hier etwas völlig neues aufgetreten, nämlich der Antijudaismus als eine reine Lehre, ohne Notwendigkeit der konkreten Anschauung und auch ohne konkrete Juden, die diese Lehre eventuell sogar stören hätten können. Parkes beschreibt das in "Judaism and Christianity" (London, 1948) so:

"Das prinzipiell neue am Schicksal der Juden in christlicher Zeit ist, dass die christliche Einstellung nicht mehr, wie die heidnische, auf aktuellen Erfahrungen mit Juden, sondern auf der Auslegung einer mit göttlicher Autorität ausgestatteten Beschreibung des jüdischen Charakters und der jüdischen Geschichte beruhte."(2)

Und genau das führte zu einer mit der intensiven Ausbreitung des Christentums gleichzeitig stattfindenden Ausbreitung des darin noch immer fest verankerten Antisemitismus.

(1) Julius H. Schoeps, Joachim Schlör (Hrsg.): Antisemitismus – Vorurteile und Mythen; "Erstes Bild: Die Gottesmörder"; München 1995
(2) James William Parkes: Judaism and Christianity, London 1948

Jens Scholz, September 2005

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