6. Mai 96 - Leserbrief an das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel"
Spiegel Nr. 18 vom 29.4.96: Gesellschaft, Sekten - "Totes Huhn am Kruzifix"
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit der (wiederholten) Titulierung von Pentagrammen als "Satanssymbolen" übernimmt Der Spiegel unreflektiert christliche Positionen mitsamt ihren schwarzweißen Erklärungsmustern.
Das Pentagramm, älter als die gängigen Offenbarungsreligionen, ist ein heidnisches Erdsymbol (ohne jeden Gut- oder Böse-Charakter). Allgemein stellt es die vier Elemente dar, gekrönt vom fünften, dem Geist. Aufrecht läßt sich der Fünfzack auch als stilisiertes Abbild des Menschen lesen: zwei Beine, zwei Arme, ein Kopf. In gestürzter Form (eine Spitze nach unten) symbolisiert er das Tierhafte (zwei Spitzen als Hörner).
"Teuflisch" wird das natürlich nur in einer Relügion, die einen einsamen, eifersüchtigen Gottvater als Herrn über alle Natur stellt und vom Weiblichen bis zum Tierischen eben buchstäblich alles "zum Teufel" schicken muß, was nicht ins körperlose, verkopfte Weltbild paßt. "Satanisten" in ihrer von Ihnen trefflich beschriebenen traurigen Verklemmtheit sind halt nichts weiter als negativ gepolte Christen - beide glauben ans gleiche Pantheon (mit jeweils umgekehrten Vorzeichen); was immer sie wahrnehmen, wird auf Teufel komm raus (sic) in dieses alles polarisierende Raster gepreßt.
Und selbst die Satansfigur haben sie auch noch geklaut:
Die Gestalt mit den Hörnern, Bocksfüßen (und oft mit gerecktem Phallus) war nämlich vor der Christianisierung ein friedliebender, sozusagen pan-europäischer Vegetationsgott - bei den Griechen als Pan, bei den Kelten als Kernunnos und bei den Germanen als Freyr bekannt.
Naturreligiösen Menschen (von denen viele das Pentagramm als Symbol benutzen) sind die abstoßenden Praktiken von Satanisten wesensfremd.
Mit freundlichen Grüßen....
Duke Meyer (Fjölnir Hvíðuðr Vitki)