Kapitel 3: Frauen, Krieg und Keuschheit
Kapitel 4: Migration: Hexen und Königinnen
Die in der älteren Forschung so genannte "Völkerwanderung" brachte den Germanenstämmen nicht nur räumliche Veränderung, sondern gleichermassen eine Reihe gravierender gesellschaftlicher Veränderungen. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich im vorherigen Kapitel quasi so getan habe, als hätte es "einheitliche" Stämme in der taciteischen Zeit gegeben, aber selbstverständlich war das nicht der Fall. Ebenso verharrten die Stämme nicht neun Jahrhunderte lang in gleichförmigem Zustand, um plötzlich etwa um das Jahr 400 von einem Strudel der Veränderungen erfasst zu werden, zumal ich die Ausbreitung der Kultur ebenfalls nicht besprochen habe. Der Umfang meiner Darstellung macht aber hoffentlich klar, warum ich schematisieren und vereinfachen musste.
Man erwarte darum keine Abhandlung der "Völkerwanderung" von mir. Stattdessen möchte ich bei meinem Thema bleiben und anhand von zwei Beispielen meine provokante These, die Germaninnen und ihre gesellschaftliche Stellung betreffend, weiterverfolgen.
Wie zuvor werde ich knapp und schematisch zunächst den Hintergrund schildern. Ich habe kurz darauf hingewiesen, dass aus den duces der taciteischen Zeit die "Heerkönige" der Migrationsperiode wurden. Dies geschah vor allem dadurch, dass einige von ihnen erfolgreich in fremdes Territorium eindrangen und dort blieben, wodurch sie sich quasi der permanenten Kontrolle des Stammes entzogen. Ihre Gefolgsleute kamen keinesfalls immer aus ihrem eigenen Stamm, und einiges spricht für die Herausbildung eines "Berufskriegertums" bereits in taciteischer Zeit: Männer, die von Gefolgschaft zu Gefolgschaft wechselten und am "regulären" Leben überhaupt nicht mehr teilnahmen. Man muss sich aber sehr hüten, hier zu verallgemeinern: den Chatten beispielsweise schien es gelungen zu sein, ihre "Berufskrieger" (1) erfolgreich zu integrieren. Zu einem chattischen Heerkönigtum kam es nie, obwohl die Chatten zu denjenigen Stämmen gehörten, die keine "Sakralkönige" hatten. Die Heruler, die wegen der Runeninschriften von Thorsberg und Nydam mit dem Wotanskult in Verbindung gebracht werden, "haben diese archaischen Züge des Königtums, die geringe Macht im Sinne römischer und neuzeitlicher Staatlichkeit und die sakralen Elemente, wie den sakralen Königsmord, auch im Süden bewahrt." (2) Ich erwähne das hier, weil gewisse klischeehafte Vorstellungen, angeregt durch Begriffe wie "Heerführer", "Berufskrieger" und so fort hier oftmals zu schiefen Bildern führen. Bei unserem Thema landet man dann allzu leicht bei den von "Natur" aus "friedlichen" Frauen und "aggressiven" Männern und dergleichen Unfug eines Pseudofeminismus, der, ohne es zu merken, schwache Frauen und dumme Frauen propagiert und Gemeinplätze veralteter Diskurse in die "Nebel von Avalon" hüllt, anstatt sie kritisch in Frage zu stellen.
Fußnoten:
(1)Tacitus, De origine et situ Germanorum liber, 31
(2)Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 410