Das Internet-Magazin des Rabenclans
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Das Universum des Bürgers
von Hans Schumacher, im Namen und Auftrag des Rabenclan - Arbeitskreis für Heiden in Deutschland e.V.
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- Rückschau?
- Der Bürger und das Ungeheuer?
- Der Bürger und das Übernatürliche?
- Der Bürger und die Natur?
1. Rückschau
Wer das Ariosophieprojekt von Anbeginn an begleitete oder im Laufe der Untersuchung als Leser hinzugestoßen ist, weiß, dass wir einen langen, gewundenen Weg zurückgelegt haben, der uns stets sowohl in immer größere Themenbereiche als auch in immer tiefere Schichten verborgener Gesetzmäßigkeiten geführt hat. Da dies auch im Rahmen dieser Untersuchung wieder geschehen wird, gilt es, kurz zu rekapitulieren, damit uns vorangegangene Arbeitsergebnisse als Ausgangspunkt dienen können.
Gleich zu Anfang stießen wir auf eine anfangs erstaunliche Übereinstimmung zwischen den Organisationsstrukturen ariosophischer Gruppen und solcher der Heidenszene, welche ersteren als Satelliten dienen, einerseits, und der Kosmologie, welche dort als wahrhaftiges Abbild der Welt gilt, andererseits. Zentrales Element bei beiden, so erkannten wir, ist die Hierarchie. Die jeweilige Organisation spiegelt in ihrer vertikalen Orientierung die ebenfalls nach Wertigkeiten hierarchisch gestaffelte Kosmologie wieder und umgekehrt. Wir gelangten zu dem Schluss, dass diese Übereinstimmung auch einen funktionalen Aspekt hat: die Lehre schützt die Gruppenordnung und die Machtposition der Führer, und diese schärfen die Lehre ein. Das im Falle der Satellitenorganisationen weitgehend ahnungslose Mitglied sieht sich in einer Erlebniswelt, welche permanent affirmierenden Charakter hat. Sein Platz in der Gruppe (wechselseitig kameradschaftlich mit den Gleichrangigen, gläubig und loyal dem Führer verbunden) und in der Welt (unverstanden, zu Unrecht an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, aber Teilhaber spiritueller Weisheit, die von der bösen Gesellschaft abgelehnt wird) spiegeln exakt die Aussagen des Lehrgebäudes. So konnten wir klarmachen, warum selbige Mitglieder selbst offensichtlich inkompetenten und aufgeblasenen Führern fanatisch ergeben sind. Diesen kommt auch die Szene-Struktur als solche zugute sowie die zu Beginn der Untersuchung noch sehr laute Pauschalverurteilung aller �Heiden" als zumindest Steigbügelhalter faschistischer Doktrinen. Wir wiesen darauf hin, dass Antifa und dünnbrettbohrerische Sensationsjournalisten durch ihre Aktionen die Verhältnisse zementierten, statt sie aufzulösen, und die stets vorhandenen Kritiker innerhalb der Heidenszene mundtot zu machen halfen.
Ausgangspunkt unseres gesamten Unterfangens war der Rassismus, genauer gesagt der esoterisch-pseudospirituelle, pseudoreligiöse Rassismus. Sehr im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit der zu diesem Thema Publizierenden, deren Darlegungen lediglich eine Aufdeckung von Personalverflechtungen (bis hin zu Verschwörungstheorien), oder pauschale Verunglimpfung und Schuldzuweisungen ohne jeglichen analytischen Ansatz waren, sahen wir uns gehalten, zu erklären, wie Menschen, die eine naturverbundene Religiosität praktizieren wollen, zu Rassisten gemacht werden - dies nicht etwa, um Mitläufer rassistischer Umtriebe aus der Verantwortung zu nehmen, sondern um das zu leisten, was scheinbar und angeblich das Bestreben der oben umschriebenen Publizierenden war: den esoterischen Rassismus zu bekämpfen.
Von der Entdeckung der strukturellen Spiegelung und Übereinstimmung sowie deren Wirkungsweise war es lediglich ein kleiner Schritt, festzustellen, dass auch und gerade jeglicher Rassismus die Hierarchie als Kernelement beinhaltet, hierarchische und autoritäre gesellschaftliche Verhältnisse fordert und stützt und insgesamt die Welt und das Universum als pyramidenartigen Stufenbau von Wertigkeiten beschreibt, dem sowohl die angestrebten Gesellschaftsformen - als auch die Organisationsstrukturen der Heidenszene aufs Haar gleichen, wo die Brutstätte der modernen Ariosophie sich befindet. Es wurde also unzweifelhaft klar, dass die Bekämpfung rassistischer Aussagen und Lehren allein zu nichts führen würde, da diese lediglich ein Symptom gewisser Strukturen und Mechanismen sind.
Inhaltlich ist die Ariosophie lediglich ein Seitenzweig der Theosophie, welche sehr viel weiter verbreitet ist und - als eigentliches Kernelement beispielsweise der New-Age-Esoterik - in bei weitem weniger auffälliger Weise autoritär-hierarchische Kosmologie - diese durchaus im Sinne von Weltbeschreibung mit politischen Implikationen - transportiert. Die rassistischen Aussagen der Ariosophie sind lediglich eine Version der theosophischen Wurzelrassenlehre, die ebenso wenig aus der Theosophie herausdiskutiert oder wirklich extrahiert werden kann wie der Rassismus aus der Ariosophie - es sind Kernelemente, die untrennbar zur Paradigmatik von Theosophie respektive Ariosophie gehören. Um also der Ariosophie wirkungsvoll begegnen zu können, muss stets die Theosophie in die Untersuchung einbezogen werden.
Wir näherten uns also der Frage, wie es denn geschehen konnte und kann, dass die Theosophie so viele Anhänger findet und fand. Hier beispielsweise lediglich auf Dummheit oder irgendwelche Charaktereigenschaften der in Rede stehenden Individuen zu verweisen, sodann diese mitsamt ihrer Lehren scharf öffentlich zu verurteilen und es dabei bewenden zu lassen, wäre genauso müßig und kontraproduktiv wie im Falle der Heidenszene. Stattdessen müssen wir die Wurzel des Übels finden, um es dort packen zu können, denn nur so werden wir unserer Zielsetzung gerecht. Es nutzt nichts, das Ungeheuer nur zu verjagen, denn es kommt wieder - man muss ihm in seine Höhle folgen und es dort stellen.
In "Zwei Widersprüche" umrissen wir bereits diesen Ansatz, schilderten den Entstehungs- und anfänglichen Verbreitungskontext und formulierten die These, dass jeglicher Rassismus immer letzten Endes sozial gemeint ist. Von "niederen Rassen" zu "niederen Schichten" ist es niemals ein großer Schritt. Attach:HansSchuhmacherUniversum_adolescents.jpg Δ In beiden Fällen kann pseudogenetisch argumentiert werden, in beiden Fällen rechtfertigt und zementiert ein kosmologischer Stufenbau Hoch und Niedrig, in beiden Fällen verwischen solche Lehren die wahren Ursachen der Ungleichheit. Die politisch-ökonomische Realität des jeweiligen Entstehungskontextes war geprägt durch zwei Faktoren. Erstens: eine deutsch- bzw. englischsprachige Elite (USA: Industrielle, Banker; Donaumonarchie: Hochadel, Industrielle, Großgrundbesitzer) beherrschte sowohl "niedere Rassen" bzw. Völkerschaften (USA: Indianer, Schwarze, Hispanics, letzten Endes alle Nicht-Anglos; Donaumonarchie: Tschechen, Magyaren, Slowenen) als auch niedere Schichten (Arbeiter, Bauern). Beide stützten sich auf einen mächtigen Staatsapparat, dessen Angehörige solidarisch mit den Herrschenden waren und von ihnen abhingen. In beiden spielten reiche Bürger entscheidende Rollen, in beiden gab es ein privilegiertes Bürgertum. Zweitens: in beiden Entstehungskontexten trat derselbe Feind der bestehenden Ordnung auf: die Arbeiterbewegung, die nicht nur Machapparat und Privilegien bedrohte, sondern auch Gleichheitsideen vertrat. Auch die unterdrückten Ethnien bzw. "Rassen" fügten sich keinesfalls ergeben in die ihnen zugewiesene gesellschaftliche Rolle. Hier muss allerdings herausgehoben werden, dass vom Rassisten der Angehörige einer "niederen Rasse" stets als Bedrohung empfunden wird - rassistische Texte, Reden und Thesen sind im Grunde weniger geprägt von Rassestolz und Herrenrecht, sondern vielmehr von Bedrohungsszenarien und Angst. Ebenfalls im Rahmen dieser Arbeit wiesen wir darauf hin, dass der Rassismus als solcher den Begriff der Rasse voraussetzt, in mittelalterlichen Herrschaftsverhältnissen völlig fehlt und erst durch die Machtübernahme des Bürgertums und das Auftreten der bürgerlichen Wissenschaften entstand. Der Rassismus hängt also aufs engste zusammen mit bürgerlicher Herrschaft und bürgerlicher Angst vor den Beherrschten.
In "Anmerkungen zum Thema Islam" besprachen wir aus aktuellem Anlass die Feindlichkeit gegen diesen, die sogenannte "Fremdenfeindlichkeit", die in Wahrheit ein Rassismus ist, sowie Entstehung, Natur und Wirkungsweise gesellschaftlich akzeptierter Ideen überhaupt. Dabei stießen wir auf das interessante Gegensatzpaar "Barbarei" und "Zivilisation" in konkreter realpolitischer Anwendung und fanden die Macht der jegliche Rationalität außer Kraft setzenden Assoziationsketten im gesellschaftlichen Denken, das, mit Mary Douglas, ein institutionelles Denken genannt werden muss. Als von zentraler Bedeutung stellte sich Ludwik Flecks These heraus, dass sich Ideen nicht aufgrund ihres Wahrheitsgehalts, sondern wegen ihrer Kohärenz zu anderen Ideen, die fest in das institutionelle Denken eingefügt sind, durchsetzen. Um mit ihm zu sprechen: Jede Erkenntnistheorie, die diese soziologische Bedingtheit allen Erkennens nicht grundsätzlich und einzelhaft ins Kalkül stellt, ist Spielerei. Der traurige Anlass dieser Untersuchung bzw. die weltweiten Reaktionen auf diesen veranlasste uns, die grundlegende Irrationalität gesellschaftlichen Denkens aufzuzeigen, das aber deswegen keineswegs chaotisch ist, sondern im Gegenteil strikten Gesetzmäßigkeiten folgt.
Nunmehr ist es an der Zeit, noch einen Schritt weiter zu gehen. Da bereits die Besprechung des Entstehungs- und Verbreitungskontextes von Theosophie und Ariosophie stets auf das Bürgertum als entscheidenden Faktor zeigten und wir uns eine Grundlage für die Untersuchung gesellschaftlichen und kulturell konditionierten Denkens überhaupt erarbeitet haben, können wir jetzt beginnen, Theosophie, Ariosophie sowie verwandte Ideengebäude mit dem Bürgertum in Relation zu setzen.
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2. Der Bürger und das Ungeheuer
Dieser Ansatz mag ungewöhnlich erscheinen, aber da der Rassismus als eine Bürgerangst identifiziert wurde, ist es angemessen, Bürgerängste als solche zumindest grob zu umreißen. Um das zu tun, veranstalten wir einen kurzen Ausflug in die Literatur, denn für unseren Zweck reicht es aus, das, was dem Bürger Angst macht, an einem leicht erreichbaren Beispiel zu illustrieren, sofern wir die Gesetzmäßigkeiten richtig herausarbeiten. Die Horrorliteratur ist ebenso wie Theosophie und Ariosophie eine Schöpfung der Bürgerkultur, sie befasst sich ebenso wie diese mit Ängsten, sie befasst sich ebenso wie diese mit dem "Übernatürlichen", worauf wir noch zu sprechen kommen werden - und wenn die wohlige Beschäftigung mit Schrecken vom Sofa aus nicht bürgerlich ist, was kann dann so bezeichnet werden?
Dracula bedient sich der List, der Täuschung und magischer Kräfte, obwohl er ein recht tölpelhafter Schurke ist - weil, wie van Helsing uns versichert, Verbrecher nicht denken können. Die Gegenseite führt Wissenschaft, Christenglauben und entsprechende Tugenden ins Feld, was freilich unabwendbar zu ihrem Sieg führt. Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man "Dracula" als Kampf der Bürgerwelt gegen sie bedrohende Mächte, die eindeutig charakterisiert sind, begreift. Es würde sich lohnen, hier tiefer zu schürfen - da kämpft der vom Bösen besessene Patient gegen den guten Psychologen, die beiden Frauen verkörpern zeitgenössische Tugend und Untugend bei Frauen, auf Draculas Schloss hausen vampirische Verführerinnen, die die Tugend des guten Anwalts auf die Probe stellen - aber uns interessieren hier die Hauptcharakteristika der "Guten" und der "Bösen", vor allem letztere.
Seit seinem Tod hat sich eine Unzahl von Rezensenten und Analytikern mit Lovecraft und seinem Werk beschäftigt. Unter diesen ragen vor allem die Psychologen hervor (über deren Berufsstand sich Lovecraft in "Der Fall Charles Dexter Ward" lustig machte), von denen die meisten dem toten Lovecraft posthum eine Menge Traumata und Probleme einzureden versuchten. Als Erklärungsansatz für das Phänomen Lovecraft ist dieser an Dummheit schwerlich zu überbieten, denn derlei "Analysen" erklären nicht die ungeheure Verbreitung und Popularität von Lovecrafts Werk - es sei denn, die Leser seien samt und sonders ebenfalls Kandidaten für psychologische Behandlung, was als Einschätzung seitens von Psychologen ja keinesfalls auszuschließen ist. Wir jedoch befinden uns auf der Spur von Charakteristika institutionellen Denkens, daher müssen wir uns fragen, warum Verleger Lovecrafts Geschichten drucken ließen, bis heute Millionen sie lasen, Musiker und Filmemacher sich von ihnen inspirieren ließen und lassen, was das Publikum ganz offensichtlich zu schätzen weiß.
Ein bei weitem interessanterer Ansatz besteht darin, die Entwicklung der Naturwissenschaften zu Lovecrafts Lebzeiten sowie die öffentliche Reaktion auf deren Arbeitsergebnisse mit Lovecrafts Geschichten in Verbindung zu bringen. Zu Stokers Zeiten war Newtons Uhrwerk-Universum noch in Ordnung, aber Relativitätstheorie und Quantenphysik machten radikal reinen Tisch mit einem mit den Methoden des 19. Jahrhunderts versteh- , geschweige denn beherrschbaren Universum. Weder Zeit noch Raum war absolut, weswegen die Grundfesten wegbrachen. Plötzlich bestand die Materie aus fast nichts, aus sich unvorhersehbar verhaltenden Teilchen, und wurde suspekt. Statt ewiger Sicherheiten gab es plötzlich Ereignishorizonte, statt objektiver Untersuchungsergebnisse Heisenbergs Unschärferelation und von Neumanns Katastrophe. Der Raum war nicht zu erobern, und was man für die gute alte Erde gehalten hatte, erwies sich als viel eigenartiger und bizarrer, als man gewusst zu haben meinte. In gewisser Weise wurde Azathoth entdeckt.
Schön und gut - somit wäre erklärt, warum Lovecraft das All, die "falsche Geometrie" und die "merkwürdigen Winkel" in seine Kulte und versunkenen, vormenschlichen Städte einbrachte, und warum die Leserschaft dies offenbar genoss. Aber die oben beschriebene Enttäuschung und Verunsicherung des Bürgertums über die Beschaffenheit des Universums machen keine echte Bürgerangst aus, welche immer eine soziale Angst ist. Der oben beschriebene Faktor liefert einen Ansatz - es geht im Kern um die Beschaffenheit der Welt - und erklärt einen Faktor, aber nicht mehr. Von Vertretern dieses Ansatzes werden die Ausländer und ihre Kulte nicht besonders beachtet und in der Regel mit Lovecrafts persönlicher Disposition erklärt - die, wie gesagt, nichts mit der Disposition der Leser zu tun hat! - und für eine Art Hintergrundelement gehalten. Dies kann im Rahmen unserer Untersuchung freilich nicht so gesehen werden.
Hören wir Lovecraft selbst: "Er (eine Erzählfigur, Anm.d.Verf. ) betrachtete es häufig als Gnade Gottes, dass die meisten Menschen von großer Intelligenz sich über die innersten Geheimnisse lustig machen; denn so erklärte er, wenn überlegene Geister wirklich mit den Geheimnissen in vollen Kontakt kämen, den alte und niedere Kultrichtungen sich erhalten haben, dann würden die daraus entstehenden Unnatürlichkeiten nicht nur die Welt vernichten, sondern die Lauterkeit des Universums selbst bedrohen." Dieser Satz stammt aus einem Frühwerk, in dem die Ausländer und ihre Kulte eine zentrale Rolle spielen. Der uns dargestellte Sachverhalt (Lovecraft glaubte nicht im Mindesten an die Inhalte seiner Geschichten, das sei am Rande klargestellt) ist der folgende: gewisse Geheimnisse dürfen nicht entdeckt werden, denn dann wird die Welt vernichtet, Unnatürlichkeiten entstehen und die Lauterkeit des Universums wird bedroht. Die Ausländer mit ihren niederen Kulten stehen mit diesen Dingen in Kontakt, sind aber glücklicherweise zu dumm. Die, die intelligent genug wären, wollen glücklicherweise von alledem nichts wissen.
Übertragen wir all das versuchsweise in einen sozialen Kontext, kommen wir zu folgender Aussage: Im Grunde sind die Welt und die Gesellschaft natürlich und lauter, aber die Außenseiter bedrohen diesen Zustand. Die Gesellschaft ist bedroht, und zwar von denen, die anders denken und andere Dinge praktizieren als wir und nicht zu uns gehören. Sie sind uns feindlich gesonnen. Solange keiner von uns (den Hohen, den Intelligenten) bei ihnen (den Niederen, den Dummen) mitmacht und damit zur anderen Seite übergeht, ist unsere Welt sicher, aber die Katastrophe kann jederzeit eintreten, und dann wird die Welt - unsere Welt - vernichtet.
Das klingt womöglich weit hergeholt. Aber McCarthy war Lovecrafts Zeitgenosse, und sehr im Gegensatz zu Lovecrafts Geschichten war seine politische Hexenjagd bitterer Ernst. Zu Lovecrafts Zeiten argumentierten die faschistischen Parteien in Europa in etwa so wie oben dargelegt. Die USA selbst wurden von derart blutigen Unruhen und Arbeitskämpfen heimgesucht, wie sie Europa so nie erlebt hat. 1932 hatte die KPD 100 Sitze im Deutschen Reichstag gehalten. Der Angstgegner Sowjetunion wurde fortwährend stärker, und die Arbeiterbewegung, sofern sie nicht von faschistischen Regimen physisch vernichtet wurde wie in Deutschland, in Spanien und Italien, forderte das Bürgertum offen heraus. Immer mehr Frauen weigerten sich, ihr Leben lang Wilhelmina Harker zu sein, in den USA revoltierten die Schwarzen... schlecht stand es um die Bürgerwelt, sehr schlecht. Die Bürgerängste zu Stokers Zeiten, als das Empire noch eine Weltmacht und das soziale Gefüge scheinbar unerschütterlich war, hatten sich zu sehr berechtigter Panik entwickelt, und Lovecraft, so können wir behaupten, war einer ihrer Propheten. Andere waren, wie wir bereits gesehen haben, die Führer der diversen theosophischen Richtungen und Organisationen.
Und heute? Nun, in unseren Zeiten, in denen das Bürgertum wieder derart sicher im Sattel sitzt, dass man sich soziale Wohltaten getrost sparen kann und sich Vorstände von Mineralölkonzernen nicht einmal mehr die Mühe machen, einen von ihnen lancierten Eroberungskrieg mehr als notdürftig zu verschleiern, heißt der Horror-Papst Stephen King. Auch bei ihm finden Ungeheuer ihre Verbündeten und Helfer in gesellschaftlichen Außenseitern. Wenn er hie und da, wie in "Es", Außenseiter zu Helden macht, so sind diese Außenseiter keine Dissidenten, sondern nur Verlierer des american dream, den sie voll und ganz affirmieren, und werden nach vollbrachter Heldentat mit Reichtum und bürgerlichem Status belohnt. In "Carrie und Christine" legt King zwar - im Gegensatz zu Stoker und Lovecraft - großes Mitgefühl für die Außenseiter an den Tag, aber seine Botschaft ist die Gefährlichkeit der Außenseiter für die bürgerliche Gesellschaft, nicht die Gefährlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft für die Außenseiter, die sie erschafft.
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3. Der Bürger und das Übernatürliche
Das christliche Mittelalter kannte den Begriff des Übernatürlichen ebenso wenig wie den Begriff der Rasse. Die ganzheitliche christliche Weltsicht zog keinen Trennstrich zwischen "materieller" und "spirituell-religiöser" Realität, und selbst der Teufel und seine Diener waren Teil des göttlichen Plans. Während und nach der Machtergreifung des Bürgertums änderte sich das. Die bürgerlichen Wissenschaften leugneten und leugnen die Existenz von allem, was nicht in ihr Erklärungsmuster passt, welches, wie Ludwik Fleck gezeigt hat, nichts mit der Beschaffenheit der Dinge an sich, aber sehr viel mit sozialen und kulturellen Bedingtheiten zu tun hat. Erst seit wenigen Jahrzehnten, seit den Untersuchungen von Malinowski und Lévi-Strauss, hörte die Ethnologie auf, eine Kolonialwissenschaft zu sein, und schaffte den Sprung zu der Einsicht, dass die "Naturvölker" kohärente Denksysteme haben, die allerdings samt und sonders spirituelle Aspekte haben und anders funktionieren als das christlich-abendländische - welches dadurch zu einem Denksystem unter vielen wurde. Das passt aber nicht zum Anspruch des christlich-abendländischen Systems, das einzig relevante zu sein. Daher bleiben solcherlei ketzerische Überlegungen Gelehrten vorbehalten - für den Durchschnittsbürger gibt es nur ein System und solche, die davon abweichen, nämlich Wilde, Moslems, Hindus, Buddhisten und so fort. Die Kenntnis lediglich eines Systems lässt dieses System jedoch im Bewusstsein nicht als solches erscheinen. Für ein solches Bewusstsein ist das System das gleiche wie die Realität. Hierfür sorgt auch das System selbst, wie wir bei der Untersuchung des institutionellen Denkens gelernt haben: es lässt Assoziationsketten wie Rationalität und Objektivität erscheinen und blendet Unpassendes aus. Kognitive Dissonanz wird vermieden. Warum aber verschwand die Beschäftigung mit Spiritualität, Religion, Magie nicht, nachdem die bürgerliche Wissenschaft sie wegerklärt hatte?
Wir haben es bislang vermieden, in dieser Untersuchung Existenz oder Nichtexistenz spiritueller, magischer oder religiöser Phänomene zu diskutieren und wollen das auch zukünftig unterlassen. Eine Erklärung, die von der Existenz solcher Phänomene ausginge und sie zur Grundlage von Erörterungen machen würde, zöge nur Kritik und Spott auf das Projekt, dessen Wirksamkeit dadurch in Frage gestellt würde. Es besteht auch keinerlei Notwendigkeit, derlei zu diskutieren, wir kommen auch ohne derartige Grundbehauptungen aus, da uns die Besprechung über das Funktionieren des institutionellen Denkens als Grundlage dienen kann.
Wie wir anhand von Theosophie und Ariosophie gesehen haben, spiegeln pseudoreligiöse Lehrgebäude soziale Realitäten. Im Rahmen dieses Projekts wurde schon häufig auf Émile Durckheims grundlegende Überlegungen zu diesem Thema hingewiesen. Ethnologische Untersuchungen haben erwiesen, dass "Naturvölker" kohärente und ganzheitliche Denksysteme haben, die, weit entfernt davon, "primitiv" zu sein, ihre Angehörigen zu erstaunlichen Leistungen befähigen. Die zurecht heftigen und erbitterten Ausführungen des Ethnologen Hans-Peter Duerr wenden sich gegen immer noch selbst bei namhaften Wissenschaftlern vorhandene Ideen von physisch und intellektuell erbärmlichen Dasein der "Primitiven". Auch bei diesen haben ihre "Denkwelten" einen sozialen Zweck, nämlich den Erhalt ihrer in der überwiegenden Mehrheit nichthierarchischen Sozialsysteme - was einer der Gründe dafür ist, dass die christlich-abendländische "Denkwelt" diese "Denkwelten" ausblendet. In der christlich-abendländischen "Denkwelt" werden Spiritualität, Religion (außer dem Christentum) und Magie permanent negiert bzw. zu Hirngespinsten erklärt - was nicht das selbe ist, als ob nie jemand etwas von diesen Dingen gehört hätte. Es ist sinnlos, eine Anti-Haltung gegenüber etwas Nichtexistentem einzunehmen, und in der Praxis geschieht das auch nie.
Der Bürger befindet sich also in einem denkwürdigen Zwiespalt, der eben darauf hinausläuft, etwas Nichtexistentes abzulehnen. So entstand der Begriff des "Übernatürlichen", der freilich ein Unsinnsbegriff ist: entweder etwas existiert, und dann ist es natürlich (oder im Falle menschlicher Produkte auf natürliche Weise entstanden), oder es existiert nicht. Das Übernatürliche, eine Schöpfung des Bürgertums, existiert sozusagen in der Negation. Freilich besteht in einer solchen Situation permanent die Verlockung, die Negation aufzugeben, das Übernatürliche als existent anzusehen und sich mit ihm zu beschäftigen. Dies kann aber nicht außerhalb der bürgerlichen Denkwelt geschehen, sofern mit dieser nicht kulturell radikal gebrochen wurde, da Kohärenz eine unbedingte Forderung von Denkwelten ist. Also entstehen Bürgersysteme zum Umgang mit dem Übernatürlichen. Zwei dieser Systeme kennen wir bereits, die Theosophie und die Ariosophie.
Bisher haben wir ein Nebenthema vermieden, das wir hier aber kurz streifen wollen: den Okkultismus. Dieser entstand gleichzeitig mit dem gesellschaftlichen Aufstieg des Bürgertums (Rosenkreuzer, 17. Jh.), verflocht sich später aufgrund identischer Kernaussagen mit der Theosophie und ist ein Bürgersystem reinsten Wassers. Der Anspruch auf Meisterung und Beherrschung der Welt, charakteristisch für die christlich-abendländische Denkwelt, wird vom Okkultismus vollstens affirmiert, nur dass hier nicht der Schlotbaron oder sonst ein Potentat sich als "Meister des Universums" sieht, sondern der okkultistische Magier. Ganz im Sinne der obigen Diskussion des Übernatürlichen, das lediglich in der bürgerlichen Denkwelt existieren kann, erklärt sich der okkultistische Magier zu dessen Beherrscher und mithin zum Angehörigen einer geheimen Elite, die sich selbstverständlich das Recht zuschreibt, die "Uneingeweihten" zu beherrschen, ganz wie wir es von der Theosophie her kennen.
Mir liegt ein Werk mit dem Titel "Magische Briefe - okkulte Praxis" aus dem Berliner Schikowski-Verlag vor, in dem es heißt: "Diese Schrift wird in begrenzter Auswahl gedruckt. Sie ist einerseits nur für eingeweihte Logenschulen bestimmt, andererseits nur für ernsthaft studierende Okkultisten und Forscher". Trotzdem kann es ein jeder dort erwerben, was es uns ermöglicht, unsere These vom Okkultismus als Bürgersystem zu erhärten. Der Text stammt, wie sich erschließen lässt, aus der Zeit nach dem ersten und vor dem zweiten Weltkrieg, also genau der Zeit, die wir bei unserem literarischen Ausflug kurz betrachtet haben.
So erfahren wir unter VIII.19: "Jede Religion baut sich auf Furcht auf, daher muß das Volk nicht mit haltlosen Phantastereien und schwächenden Begriffen der Nächstenliebe geschreckt und genährt werden, sondern die strafende, rächende Hand des strengen Gottes auch fühlbar lastend auf sich merken. Die magische Macht des Priesters muß wieder zur Realität werden, streng und unerbittlich - das Opfer Jesu war für den größten Teil der Menschheit umsonst gebracht, jetzt kommt die Zeit der Ernüchterung, der Wiedervergeltung, der Strafe. Saturnus steht als kosmischer Vollstrecker bereits drohend im Osten, um seine Herrschaft auf den großen Zeitraum des Wassermann- und Steinbockzeitalters anzutreten, um sich erst dann in Jupiter zu verwandeln, den Führer durch das sagenhafte, vielversprochene goldene Zeitalter im Zeichen des Sagittarius."
Nachdem wir also erfahren haben, wie mit dem Volk (also uns) verfahren werden muss, sei noch kurz erwähnt, dass die "okkulte Praxis" zum Beispiel das Sich-Gefügigmachen von weiblichen Medien und die Einrichtung etlicher Räume für magische Zwecke umfasst, ebenso wie andere höchst kostenintensive Prozeduren, was die Zielgruppe deutlich umreißt. Die "magischen Lehren" enthalten einen Mischmasch hinduistischer Elemente (Tattwas) mit der oben im Zitat charakteristisch erhellten Gotteslehre, also wie bei der Theosophie die Behauptung, alle Religionen besagten das selbe.
Für uns ist das Verhältnis "Magier" und "Volk" von zentraler Bedeutung. Gegen welche Bestrebungen "des Volkes" sich die "strafende, rächende Hand des strengen Gottes" zu richten hatte, ist ebenfalls hinreichend klar geworden. Aber auch angesichts des hier klar zu Tage tretenden Größenwahns steht nicht zu vermuten, dass die okkulten Magier der 30er Jahre beabsichtigten, offen als Magier die ihnen ja offensichtlich zustehende Herrschaft an sich zu reißen. Das hatten sie auch nicht nötig, denn sie gehörten zweifellos ohnehin zu den gesellschaftlich Privilegierten.
Bürgersysteme zur Arbeit mit dem Übernatürlichen fußen eindeutig immer und in jedem Falle auf hierarchischen, antidemokratischen Vorstellungen, sind mit ihnen kohärent und werden auch nie etwas anderes hervorbringen als Hierarchien, zu deren Absicherung sie ebenso wie Theosophie und Ariosophie dienen, die ja Bürgersysteme sind. Da aber grundsätzlich ein System nur durch ein anderes System ersetzt werden kann, ist eine nicht-hierarchische Spiritualität nur durch radikalen Bruch mit den Bürgersystemen möglich. Diese werden immer und in jedem Fall, wo sie keine offenen Hierarchien errichten können, unter dem Deckmantel der Demokratie versteckte Hierarchien hervorbringen, ebenso wie das Bürgertum selbst heute nicht mehr antidemokratisch auftritt, sondern scheinegalitäre Systeme errichtet hat.
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4. Der Bürger und die Natur
Ebenso wie den Begriff des Übernatürlichen schuf das Bürgertum den Begriff des Unnatürlichen. Zentral für diese Vorstellungen ist eine bürgerliche Definition der Natur. Im Rahmen dieses Projekts haben wir schon häufig darauf hingewiesen, dass das kulturell konditionierte Denken das eigene Kategoriensystem auf die Natur projiziert und in dieser dann die eigene Gesellschaftsordnung wiedergespiegelt sieht. So erscheint dann diese als "natürlich" - was ein Abweichen von der herrschenden Norm als "unnatürlich" etikettieren lässt.
In der Realität verhält es sich mit dem Unnatürlichen wie mit dem Übernatürlichen: es existiert in der Negation. So brachte es das Bürgertum fertig, beispielsweise die Homosexualität gleichzeitig zu leugnen und zu bestrafen - im Dritten Reich mit dem Tod. Was dem Bürger nicht gefällt, ist "unnatürlich" und "krankhaft", mithin gefährlich - womit wir wieder bei den Bürgerängsten angekommen wären, die anscheinend die Haupttriebfeder des Bürgertums sind.
Wenn es für den Bürger das Übernatürliche und das Unnatürliche gleichzeitig gibt und nicht gibt, was ist dann für den Bürger die Natur?
Als christlicher Abendländer sieht sich der Bürger nicht als integraler Bestandteil der Natur, sondern von dieser getrennt und über ihr stehend. So verhält er sich auch. Und das ist von zentraler Bedeutung für unser Thema: wir haben an anderer Stelle Lévi-Strauss dahingehend zitiert, dass Menschen so lange in Kategorien höherwertiger oder minderwertiger Menschen denken - und entsprechend handeln - werden, solange sie sich als getrennt von der Natur und über diese erhaben betrachten. Der Bürger weiß sich nicht nur aufgrund seiner materiellen Privilegien erhaben über die unteren Schichten, sondern er bewohnt auch eine Denkwelt, in der dies natürlicherweise so ist. Beispielsweise blendet er aus, dass Geldbesitz und Bildungsstand bürgerlicher Eltern Bürgerkindern einen enormen Vorteil im Leben verschaffen, wie die PISA-Studie für Deutschland in aller Deutlichkeit belegt - für den Bürger sind seine Kinder natürlicherweise klüger als Arbeiterkinder und bringen es daher auch weiter. Das ist für den Bürger auch notwendig, denn sein manisches Denken in Stufensystemen von Wertigkeit lässt ihn - natürlich! - auch ständig an sich selbst zweifeln. Was, wenn er minderwertige Züge an sich selbst entdecken würde, unnatürliches, Krankhaftes? Michel Foucault hebt heraus, dass im Gegensatz zum ahnenstolzen Aristokraten, den er abgelöst hat, der Bürger einen ängstlichen Bezug zu seinen Vorfahren hat. Gab es da Krankheiten? Skandale? Unnatürlichkeiten? Kommen sie etwa auch bei mir zum Ausbruch? Nun, das ist die Folge des Denkens in Wertigkeiten.
Bevor man nun aber den verängstigten, stets von Ungeheuern belauerten Bürger etwa bedauert, muss man sehen, wozu ihn seine Ängste veranlassen. Nämlich dazu, seine Herrschaft auf alles in seiner Reichweite auszudehnen, alles zu vernichten, was er nicht beherrschen kann und alles zu negieren, was er nicht vernichten kann. Darum legt der Bürger größten Wert auf den perfekten Schein, kultiviert diesen bis zum Exzess und verstrickt sich so immer weiter in Verlogenheit und Ängste.
Wir nähern uns allmählich der Antwort auf die Frage, warum Bürger - und bürgerlich geprägte Nichtbürger - Ariosophen, Theosophen, okkultistische Magier, New-Age-Esoteriker oder Anhänger anderer theosophischer Derivate werden: Weil sie innerhalb dieser Systeme den Platz im Universum einnehmen, der ihnen ihrer Überzeugung nach zukommt. Ganz oben.
Hans Schumacher
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