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Hans Schuhmacher Germanische Frau Perspektiven
28.04.2017, 09:55

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Kapitel 7: Tiefer Graben

Kapitel 8: Perspektiven

Vor etlichen Jahren hatte ich einen Traum; oder vielmehr, in der Sprache Homers: "Dieser trat mir zum Haupt und redete, also beginnend:"(1) - von einer interdisziplinären Germanenforschung, an der vor allem feministische Anthropologinnen und Sozialforscherinnen beteiligt wären. Er (?) lässt mich seither nicht mehr in Ruhe, aber ich traue ihm (?) nicht, und zwar weil ich meine Hausaufgaben gemacht habe und weiß, dass der Traum im II. Gesang der Ilias ein täuschender Traum ist; ferner, dass zumindest einige Hellenen dachten, das schlimmste aller Übel sei in der Büchse der Pandora verblieben - die Hoffnung.

Aber der (?) Traum ist recht beredt und erklärt mir, was für ein gewaltiges Aufräumen anheben würde. Er (?) kann sogar Barbara Duden, Donna Haraway und Gayle Rubin zitieren und gaukelt mit vor, was geschehen würde, wenn diese und andere einmal einen Blick auf das Germanenthema würfen.

Der vom Verhängnis verfolgte Agamemnon glaubte dem täuschenden Traum, und was geschah, kann man daselbst nachlesen. Ich habe meinem Traum zwar kein einziges Wort geglaubt und oft und laut über seine Gaukelbilder gelacht, bin aber gebeten worden, mich einmal zu dem hier besprochenen Thema zu äußern, und zwar anlässlich der Projekte, die diesbezüglich gerade im und um den Rabenclan e.V. anlaufen, und dies hier ist das Ergebnis.

Es hilft nichts, man muss den Rechtsextremen die Germanen wegnehmen, ansonsten wird man weder das Problem noch die Rechtsextremen los. Die Germanen aber als Menschen des Defizits hinzustellen, wird nur zu einer Modifizierung der rechtsextremen Strategien führen. Mein derzeitiger Eindruck ist, dass dies bereits geschieht. Menschen des Defizits sind keine strahlenden "Arier", aber "Ureinwohner" mit einer "natürlichen Religion" (völkische Ideologie) kann man problemlos aus ihnen machen. Es sind auch nicht alle Rechtsextremen dumm: die Klügeren werden das Postulat der Menschen des Defizits auch erkennen und für sich zu nutzen wissen. Ich werde mich allerdings hüten, hier im Einzelnen vorzuführen, wie das möglich wäre.

Eine sehr offensichtliche Möglichkeit möchte ich allerdings aufzeigen: ich habe in "Völkische Ideologie" gezeigt, welche Rolle die "Natur" bei der dortigen Biorobotik spielt. Man kann dort die kläglichen Lebensverhältnisse in den germanischen Wäldern, welche die Germanenforschung leichtsinnigerweise zeichnet (und die dann medial nachgeplärrt werden), einfach übernehmen, um einen "natürlichen Eroberungsdrang" der Germanen zu postulieren, der ihnen (sie sind genetisch definiert) und mithin den Nord- und Mitteleuropäern "natürlicherweise" innewohnt. Das "Dritte Reich" liebte das Konstrukt vom "Volk ohne Raum". Und wer wäscht dann seine Hände in Unschuld?

Geschieht das aber, wird die Germanenforschung als "Stimme der Wahrheit" auf ihrer Lesart der Menschen des Defizits beharren. Dieser indirekte Disput wird dann zu einer Art Ballspiel zwischen beiden Lagern, was, so beeile ich mich zu versichern, von den Germanenforschern nach dem Zweiten Weltkrieg weder beabsichtigt war, noch ist, noch sein wird. Sehe ich allerdings, dass Rudolf Simek sich in seinem kurzen Kommentar zum Neuheidentum (2) hauptsächlich auf ein Zitat von Haack aus dem Jahre 1981 (!) bezieht, muss ich feststellen, dass man bei der Germanenforschung gar nicht weiß und versteht, was sich da abspielt. Simek hält zum Beispiel des Kriterium des Glaubens für das entscheidende und meint, den gäbe es in der "Neuheidenszene" nicht. Das Kriterium des Glaubens ist nicht das entscheidende, und es gibt ihn im Neuheidentum sehr wohl. Insbesondere von Nemenyi propagiert einen solchen, und ein Eldaring e.V. rechtfertigt seine "unpolitische" Haltung (also in der Konsequenz seine Funktion als Plattform für rechtsextreme und völkische Ideologien) damit, dass er ausschließlich "Religion" betreibe. Es ist gerade die Loslösung des "Glaubens" von gesellschaftlichen Bezügen, welche die Ideologisierung seitens der Heidenszene erst ermöglicht. Sähen sich die dortigen Glaubensausleger vor der Notwendigkeit, gesellschaftliche Bezüge sauber zu referieren, gerieten sie in eine verzweifelte Situation - ein Hinweis.

Beide, die Germanenforschung wie die Rechtsextremen, schildern aber die germanische Kultur als "Männerkultur", wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise und auf sehr unterschiedlichem Niveau. In beiden sozialen Gebilden - si licet magnis componere parvo - haben anscheinend Männer das Sagen; bezüglich der Heidenszene weiß ich das sicher. Die Ausnahme der Sigrun von Schlichting habe ich erwähnt; die Germanische Glaubens Gemeinschaft leistet sich eine Sekretärin. Das ist, wie ich finde, eine interessante Kohärenz. Weder in der Germanenforschung noch bei den Neuheiden hat man den Germaninnen die Aufmerksamkeit gewidmet, die sie verdienen; ich habe gezeigt, wie es dazu kam. Ich bin der Meinung, dass man sowohl die "Menschen des Defizits" als auch die unsäglichen Germanen-Konstrukte des Neuheidentums und der politischen Rechten, die allesamt ohnehin nur Schaden anrichten, beseitigen kann, indem man die Debatte neu eröffnet.

Germanenverherrlichung wie Germanenstigmatisierung beruhen ganz offensichtlich beide auf den genannten Konstrukten und haben ebenso offensichtlich mit den Germanen selbst nichts zu tun.

Was das angeht - sieht man denn nicht, dass man den Unfug von der "natürlichen Religion" und die Theosophiederivate nur los wird, wenn man sowohl diese untersucht als auch, so gut das eben möglich ist, die germanische Kosmologie herausarbeitet?

Ich habe dargelegt, warum man die Germanen nicht loswerden wird. Sie sind ein Objekt des historischen Diskurses, und dieser hat nun einmal die Eigenart, sich nicht auf die Neuzeit beschränken zu lassen.

Es sind übrigens nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgerufen, die Debatte neu zu eröffnen. Das bedeutet aber vor allem: keine Angst vor der Wissenschaft! Wissenschaftsfeindlichkeit ist kontraproduktiv. Sie ist außerdem nichts anderes als die Inversion der Haltung, autoritätsgläubig den Wissenschaftlern die Wahrheit von den Lippen abzulesen. Es werfen so manche mit Unflat nach dem Elfenbeinturm und treffen ihn nicht, weil sie seine Beschaffenheit und seinen Ort nicht sehen können. Es gibt nämlich gar keinen Elfenbeinturm. Bücher kann man lesen, Methoden kann man erlernen, und tun die Wissenschaftler nicht, was man gern möchte, dann wildert man eben in ihren Revieren - wie ich es zum Beispiel auch tue. Abermals: Wissenschaft ist ein sozialer Prozess.

Mystisches Raunen, egal ob es von Gurus kommt oder von Wissenschaftlern, sollte man stets mit der Aufforderung beantworten, deutlicher zu sprechen. Bekommt man keine Antwort, hat man sehr wohl eine Antwort bekommen.

An verschiedenen Orten wird man entrüstet fragen, wessen ich mich hier eigentlich erdreiste. Den sich Entrüstenden kann ich nur erwidern, dass ich mich seit Jahren mit Giftmüllbeseitigung befasse und dorthin gegangen bin, wo er ist, anstatt von ferne, auf der Sofa raisonnierend, indigniert mit dem Finger zu zeigen. Darum kenne ich mich mit dem Giftmüll auch recht gut aus. Oder, um es den Betreffenden mit den Worten des Phoibos Apollon zu sagen, dessen Orakel in Delphi einmal von solchen befragt wurde, die auch vorgaben, sich dort betätigt zu haben, wo sie nie waren:

"Wenn du besser als ich, der ich dort war, Libyens Triften
Kenntest auch ohne Besuch, so bewundr´ ich sehr deine Weisheit"(3)


Soviel dazu. Für diesmal.


Ich hatte noch einen weiteren außer den angegebenen Gründen, etiam sanctum aliquid et providum im Original stehen zu lassen. Der Grund hängt mit dem Wort etiam zusammen. Etiam bedeutet "sogar", und das hat Tacitus zweifelsfrei gemeint. Es kann aber noch einige andere Bedeutungen haben, und diejenige, die für mich ausschlaggebend war, ist "noch immer". Es sind - und danach kann nichts mehr kommen - Menschen, welche die Bedeutungen festlegen.


Fußnoten:

(1)Homer, Ilias, II 59

(2)Simek, Religion und Mythologie der Germanen, S. 13ff

(3)Herodot, IV 157

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