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Antidemokratische Strömungen im naturreligiösen Umfeld
Teil 1: Elitäre Phantasien der Hexen und Heiden
(Autor: Julio Lambing)
Wenn das Stichwort "Neuheidentum" fällt, wird gerade bei politisch aufmerksamen Menschen zurecht ein gewisses Misstrauen wachgerufen. Tatsächlich haben in den Kulten und Ritualen der Nazis neuheidnische, germanische Elemente eine bedeutende Rolle gespielt. Wer "Neu-Heide" ist oder sich als "naturreligiös" bezeichnet, ist rechtsradikal, so lautet schnell die Rechnung. Bei einer solchen Betrachtung wird jedoch die Wirkung anderer demokratiefeindlicher Einflüsse auf Hexentum, Neoschamanismus, Neu-Germanen und Wiccaszene übersehen. Der Artikel möchte eine erste und grobe Einführung in die Thematik geben.(1)
Das Thema "Demokratie und Neue Religiöse Bewegungen" ist ein komplexes Thema. Im Gefolge der Studentenrevolte in den 60er Jahren war die Esoterik ursprünglich Teil der Emanzipationskultur der neuen sozialen Bewegungen. Man las die magischen Abenteuer des Ex-Studenten Carlos Castaneda und setzte sich zugleich für Hochschulreformen ein. Man kämpfte gegen Atommeiler und Polizeiwillkür und sinnierte abends beim Kiffen über das Wassermannzeitalter. Esoterik - das stand für Aufbruch und Selbstreflexion, für Pazifismus und Bewusstseinswandel. Doch ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts konnten die antidemokratischen Ausläufer der Esoterik, die als dunkle Geschwister der emanzipatorischen Seite ebenfalls immer schon Teil dieses Phänomens waren, an Boden gewinnen. Von dieser Entwicklung sind naturreligiöse Traditionen nicht ausgenommen, vor allem jene nicht, die sich als Wiederbelebung vorchristlicher europäischer Traditionen verstehen und deshalb als "Neuheidentum" bezeichnet werden. Manche dieser neuheidnischen Gruppierungen teilen sogar eine lange gemeinsame Geschichte mit einflussreichen antidemokratischen Geistesströmungen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass moderne naturreligiöse Gruppierungen per se antidemokratisch sind. Der überwiegende Teil der naturreligiös orientierten Menschen steht zur institutionalisierten Demokratie. So mancher Neuheide ist stolz darauf, dass das heutige Modell der westlichen Demokratie einer heidnischen Kultur entstammt: jener der Römer und Griechen. Dementsprechend gibt es auch neuheidnische Interessenvertretungen, die die Pflege der demokratischen Kultur als zentrales naturreligiöses Anliegen betrachten: Vereine wie der Rabenclan e.V. oder der Steinkreis e.V. sprechen immer wieder politische Fragestellungen an und klären über demokratiefeindliche Ideologien und Gruppen in der Esoterikszene auf. Dass sie dies machen, hat seinen Grund: Das Themenfeld "Demokratie und Naturreligiosität" hat in Deutschland aufgrund der Erblast der Nazi-Esoterik besondere Relevanz. Völkische und antisemitische Esoteriker wie Lanz von Liebenfels, Guido von List, Otto Rahn und Karl Maria Wiligut (Weisthor) haben aufgrund einer verqueeren Germanenrezeption spirituelle Theorien geschaffen, die noch heute verbreitet werden.
Das Gros der naturreligiösen Szene in Deutschland ist aber nicht, wie oft gerne behauptet wird, der rechtsradikalen Szene zuzurechnen, sondern der grün-alternativen. Was sollten anglophile Kelten, feministische Hexen, Gott und Göttin besingende Wiccas und Neoschamanen mit Indianerromantik wohl mit chauvinistischen und völkischen Sprüchen anfangen können? Die Gefahr des Rechtsradikalismus soll dabei nicht kleingeredet werden, denn rechte Okkultgruppen spielen selbstverständlich eine gewisse Rolle: Zahlenmäßig wesentlich kleiner als die Masse der Hexen, Wicca und Neoschamanen in Deutschland, sind diese Gruppen jedoch gut organisiert und verfügen über eine erstaunliche Infrastruktur an Verlagen, Web-Seiten, Zeitschriften und Organisationen.
Antidemokratische Ideologien, die für naturreligiöse Traditionen besonders relevant sind, lassen sich anhand ihrer unterschiedlichen Herkunft hauptsächlich in zwei Richtungen einteilen:
Die erste Richtung entstammt dem direkten Erbe der Theosophie, die zweite dem der Ariosophie, einem geistesgeschichtlichen Abkömmling der Theosophie. (Die Anthroposophie Rudolf Steiners wiederum, die sich aus der Auseinandersetzung mit und in Absetzung von der Theosophie entwickelte, sollte damit nicht verwechselt werden). Was europäische und westliche Kulturen betrifft, lassen sich diesen beiden demokratiefeindlichen Strömungen auch entsprechende naturreligiöse Lebensmilieus zuordnen, die von unterschiedlichen Mentalitäten geprägt sind. Jene Heiden, die theosophisch geprägt sind, lassen sich meist eher einer grün-alternativen Lebenswelt zuordnen. Das zweite, ariosophische Heidentum wird dagegen hauptsächlich im völkisch--neofaschistischen Lebensumfeld gepflegt. Dieses einstmal einflussreiche, rassistisch geprägte Heidentum ist mittlerweile im Gegensatz zu dem grün-alternativ geprägten von deutlich untergeordneter Bedeutung in den europäischen Ländern, lediglich in Deutschland und den skandinavischen Ländern hat es eine gewisse Präsenz.
Diese Aufteilung darf nicht zu starr begriffen werden: Gerade das rechtsradikale Milieu versucht immer wieder Einfluss auf und Anschluss an die alternative und esoterische Szene gewinnen. Dennoch macht es Sinn sie aufgrund ihrers unterschiedlichen Selbstverständnisses zu trennen. Das erste Kapitel dieser Einführung wird sich also im Folgenden nicht mit den "braunen", sondern mehr mit den "grünen" Heiden und ihren Demokratiedefiziten beschäftigen.
Von Bruder Adler und Schwester Blume
Die naturreligiöse Elternschaft der Ökobewegung lässt sich sogar anhand der Gründungsmitglieder der deutschen grünen Partei illustrieren: Diese erinnert sich heute nur sehr ungern an so problematische Protagonisten wie Rudolf Bahro oder den ökospirituellen Bauer Baldur Springmann. Wenn überhaupt, dann wird lieber auf Mitgründer aus dem anthroposophischen Umfeld verwiesen, das ja ebenfalls naturreligiöse Elemente aufweist: Joseph Beuys, Gerald Häfner, Otto Schily. (Ganz vergessen möchte man am liebsten die Ereignisse um die Auflösung des ehemaligen Berliner Landesverbands der Grünen Mitte der 80er Jahre. Der Spiegel berichtete damals über eine angebliche "Unterwanderung" des Landesverbands durch rechtsgerichtete Neu-Heiden. Das ganze wuchs sich zu einem handfesten Politskandal aus; in der Folge musste der Verband aufgelöst werden.)
In den späteren institutionellen Formen wurden naturreligiöse Einflüsse auf die Alternativbewegung unbedeutend, nicht zuletzt aus dem Grund, dass sich naturreligiöse Menschen wenig für den politischen Marsch durch die Institutionen interessierten. Als sympathischste Form politischer Organisation galten bei ihnen dezentrale Initiativen mit geringer oder gar nicht vorhandener Hierarchie (Graswurzel-Prinzip) und kommunitäre Strukturen, wie sie sich z.B. in Gemeinschaften oder in abgespeckter Version in WG's manifestieren. Doch die Verbindung zur grün-alternativen Szene, mit ihrem Anspruch auf Basisdemokratie, kultureller Vielfalt und Betonung von umfassenden bürgerlichen Freiheiten blieb.
Trotz dieser positiven demokratischen Prägung gibt es in diesem grün-alternativen Heidentum ein Einfallstor für demokratiefeindliche Strömungen: Dieses Tor entsteht durch die religiösen Inhalte an sich. Denn das Neu-Heidentum ist in einem nicht zu unterschätzenden Maße Teil der allgemeinen esoterischen New-Age-Bewegung und erhält von dort vielfältige ideologische und kulturelle Einflüsse. Und in dieser New-Age-Szene spielt die Ende des 19. Jahrhunderts von Helena Blavatsky und Henry Steel Olcott geschaffene theosophische Bewegung eine einflussreiche Rolle.
Angst vor Kritik und Erleuchtungselitarismus
Kaum eine geistige Strömung des Okkultismus hat die moderne Esoterik-Szene mehr geprägt als die Theosophie. Angefangen beim Begriff "New Age", der von Alice Bailey popularisiert wurde, finden sich in der mittlerweile global wirkenden Esoterikszene viele Motive, die dem theosophischen Aufbruch entstammen: Erleuchtung, Höherentwicklung der Seele durch Reinkarnation, Priorität des Geistes vor dem Körper, die "sieben Chakren", Führung durch "weiße Bruderschaft" der Meister, die Vorstellung, alles Leben sei Lernen und vieles mehr sind durch die Theosophie popularisierte Motive und Themen, die heute in jedem zweiten Esoterik-Buch erwähnt werden. Ganz besonders verbreitet hat sich das theosophische Motiv einer universellen spirituellen Ur-Wahrheit, die sich in allen Religionen wiederfinden lässt. "Die Geheimlehre war die allgemein verbreitete Religion der alten und der prähistorischen Welt. Beweise für ihre Verbreitung, authentische Aufzeichnungen ihrer Geschichte, eine vollständige Reihe von Dokumenten, die ihren Charakter und ihre Gegenwart in jedem Land zeigen, existieren gemeinsam mit der Lehre aller ihrer großen Adepten bis zum heutigen Tag (...) Fragmente haben geologische und politische Umwälzungen überlebt, um die Geschichte zu erzählen, und jedes Überleben liefert den Beweis, dass die jetzt Geheime Weisheit einstmals der eine Brunnen, die stetige, immer sprudelnde Quelle war, aus der alle ihre kleinen Ströme ... die späteren Religionen aller Völker ... von der ersten bis zur letzten genährt wurden", schrieb Helena Blavatsky in ihrem einflussreichen Buch "Die Geheimlehre". Das Entdecken und immerwährende Verkünden dieser angeblichen universalen Weisheit wurde im 20. Jahrhundert einer der zentralen Programmpunkte des New-Age und das entscheidende Movens zur Verständigung der unterschiedlichen Kulte innerhalb der modernen esoterischen Weltkultur.
Entsprechend diesem universalistischem Diktum und sicherlich auch unterstützt durch die Reisefreudigkeit ihrer Begründer hatte die theosophische Bewegung die Entstehung dieser Eso-Weltkultur selbst maßgeblich vorbereitet: Östliche Traditionen des Buddhismus und des Hinduismus sind von ihr ebenso beeinflusst wie das westlich-psychologisch ausgerichtete Human-Growth-Movement, britische Logenmagie oder Teile des zeitgenössischen Rosenkreuzertums, der Anthroposophie, der Scientology/Dianetik, Gurdieff-Bewegung, Krishnamurti, Past-Lives-Theorien - die Liste der geistesgeschichtlichen Kinder und Enkelkinder der Theosophie ist lang.
Auch naturreligiöse Strömungen, selbst solche indigener Herkunft haben im 20.Jahrhundert Gedanken und Motive der modernen, durch die Theosophie geprägten Esoterik umfassend rezipiert.Theosophische Versatzstücke sind in vielen Hexenschulen ebenso zu hören wie im weitläufigen Wicca-Umfeld, sie finden sich in neoschamanischen Romanen wiedenen von Lynn Andrews genauso wie in den Lehren eines Harley Swift Deer Reagan, Gründer des Deer Tribe. Doch in der Theosophie finden sich nicht nur fromme esoterische Weisheiten, sondern ebenso Ideologieelemente, die für eine demokratische Kultur problematisch sind. So verwundert es nicht, wenn wie in der sonstigen Esoterikszene auch in vielen (aber beileibe nicht in allen!) naturreligiösen Gruppen ein gewisses Faible für einen Erleuchtungselitarismus entdeckt werden kann, der in der theosophischen Lehre selbst angelegt ist. Verkürzt gesprochen enthält das theosophische Weltbild nämlich eine Erkenntnishierarchie:
Jedes Wesen auf der Erde durchläuft demnach in vielfältigen, aufeinanderfolgenden Reinkarnationen einen Lernprozess, der in einer aufsteigenden Linie nach oben hin zu immer größerer "spiritueller Reife" führt. Durch diese karmische Schule des Lebens qualifiziert sich jeder Mensch, erleuchtet zu werden und höhere Weisheiten zu schauen. Doch dieser Prozess läuft ungleichzeitig ab und entsprechend existieren bereits hoch entwickelte "Meister", die jene spirituellen Weisheiten schon geschaut haben, während andere Wesen erst in der Zukunft, im Laufe vieler Reinkarnationen Zugang zu diesen finden werden. Aufgrund dieser gestaffelten Erkenntnishierarchie entwickelt sich bzw. besteht immer schon eine spirituelle Elite, die zwangsläufig über eine höhere Erkenntnis verfügt als die einfache, noch "ungebildete" und "ungeformte" Seele.
Die höchst entwickelten Wesen leben nach dieser Theorie im Verborgenen und in ätherischen Zwischenwelten. Als Kräfte, die wohlwollend das Schicksal und das Glück der Menschheit im Auge haben, sprechen sie einzelne besonders "weit entwickelte" Menschen an, und übermitteln diesen ihre Weisheiten. Diese spirituellen Weisheiten, deren Schau letztendlich Lebensauftrag jedes existierenden Wesens ist, sind von einer höheren Qualität als die durch den Verstand gewonnenen Erkenntnisse und besitzen deshalb jenseits des demokratisch-argumentativen Streits der verkopften Zivilisationsmenschen Gültigkeit. Der Zugang zu diesen Weisheiten kann durch Meditation erfolgen, durch Kontakt zuhöheren Wesen und auch durch das Studium der spirituellen Lehren der Völker.
Gemäß einem solchen Weltbild qualifizieren sich diejenigen, die hier auf Erden fähig sind, diese Weisheiten zu erkennen, durch ihre Erkenntnis auch zu "spirituellen Führern" der anderen. Sie werden zur weiteren Ausbildung ihrer Führerschaft mehr oder weniger direkt, mehr oder weniger bewusst von den oben erwähnten ganz besonders hoch entwickelten Meistern und Kräften aus den ätherischen Zwischenwelten unterwiesen. Gleichzeitig Lernende und Lehrende übermitteln die spirituellen Führer jedoch ihrerseits den wesentlich weniger weit entwickelten Menschen notwendige Informationen und dienen so im Auftrag der Meister als Leuchtfeuer für den Weg in die Erfüllung. Und da durch sie der eigentliche Auftrag eines jeden Menschen zur geistigen Weiterentwicklung vorangebracht wird, sind diese Lehrer auch Teil der "göttlichen Führung", durch die die Menschheit auf ihren ureigenen Weg findet. Sie verkörpern hier auf Erden die Anleitung und Erziehung durch die "höchste Weisheit", und diese Führungsfähigkeit gilt strenggenommen für alle Lebensbereiche.
Eine unausgesprochene Konsequenz eines solchen Weltbildes ist die Kopplung von "Führung" an "Erkenntnisfähigkeit" und "Wahrheit". Führung wird ähnlich wie im platonischen Philosophenstaat durch Erkenntnisfähigkeit legitimiert, nicht durch demokratische Wahl. Zur Führung kann dann eigentlich nur derjenige berechtigt sein, der die spirituellen Wahrheiten gesehen und verstanden hat. Wahrheit wiederum kann demzufolge nicht als Ausdruck von kollektiver Verständigung innerhalb einer sozialen Gemeinschaft verstanden werden, sondern als ideale Übereinstimmung mit "göttlichen Prinzipien". Kritik und Gegenkritik, wie sie z.B. in der demokratischen Gesellschaft notwendiger Bestandteil sind, um das, was wahr ist, zu ermitteln, sind in einem solchen Weltbild nur Ausdruck von menschlicher Uneinigkeit. Die Wahrheit wird nicht durch Disput ermittelt, sondern durch die Schau. Und diese Schau ist Ausdruck eines grundsätzlichen Einklangs und Übereinstimmung der menschlichen Erkenntnis mit den göttlichen Prinzipien.
Dementsprechend ist allenthalben in der frömmelnden esoterischen Weltkultur ein Ressentiment gegenüber dem demokratischen Streit anzutreffen: Der argumentative Disput der bürgerlichen Gesellschaft wird als Ausdruck der fehlenden Harmonie mit der spirituellen Sphäre begriffen. Diskussionen werden als "Ego-Trips" und als Machtstreben von spirituell noch wenig entwickelten Menschen gedeutet, die noch nicht erkannt haben, dass eigentlich niemand das Recht hat, die Meinung eines anderen zu kritisieren, sondern sich stattdessen besser um seine eigene spirituelle Entwicklung kümmern sollte. Wer in diesem esoterischen Weltbild idealerweise führt, ist nicht durch Wahlen legitimiert, sondern durchseine Fähigkeit, der Erkenntniselite anzugehören. Und was Demokratien auszeichnet, nämlich die streitbare, aber friedlich geregelte Auseinandersetzung bis zur Findung eines kollektiven Willens ist dann genau das, was von einer solchen Bewusstseinsentwicklung abhält.
Kombiniert mit dem ökologischen Erbe des Neu-Heidentums kann dieser Erleuchtungselitarismus auch gerne Motive einer Vorliebe für eine Öko-Diktatur aufweisen, denen zufolge die globale Zerstörung des Lebens durch Umweltverschmutzung und Krieg nur durch ein autoritäres Regime von ökologisch bewussten Menschen verhindert werden kann. Eine Weiterentwicklung der Welt und ein Überleben auf diesem Planeten verlangt dann, die unsinnigen Streitereien und Unstimmigkeiten der bürgerlichen Demokratien durch eine entschlossen handelnde, "verantwortungsvolle Elite" zu beenden.
Schon der Philosoph Hans Jonas hat in seinem Buch "Das Prinzip Verantwortung" die bewusst als Provokation gedachte Vermutung geäussert, dass nur eine "wohlmeinende, wohlinformierte und von der richtigen Einsicht beseelten Tyrannis" in der Lage wäre, unserer politische Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen gerecht zu werden. Ein dagegen durchaus ernstgemeintes Liebäugeln mit autoritären Konzepten findet sich in Herbert Gruhls einflussreichen Öko-Klassiker "Ein Planet wird geplündert" oder bei Rudolf Bahro, der 1987 über einen (wenn auch symbolischen) "Fürsten der ökologischen Wende" fabulierte. Aus solchen dennoch eher abgehobenen Gedankenspielen machte dann 1992 ein vielbeachteter Gastbeitrag in der rechtsgerichteten Zeitschrift "Jungen Freiheit" ernst: "Wenn es um das Überleben der Völker, ja ganzer Regionen und Kontinente geht, werden Demokratie und Individualismus keine Rolle mehr spielen. Ja, da sie für das Gemeinwohl direkt schädlich sind, wird man sie abschaffen oder verbieten müssen", forderte der Historiker Wolfgang Venohr in einem Aufsatz mit dem Titel: "Der Ökostaat kommt bestimmt" (Junge Freiheit 5/92). Solche Erwägungen sind nicht belanglos: Sie treffen durchaus auf Sympathien in ökologischen orientierten Kreisen. Noch mehr Verständnis ist dort vorhanden, wo die Sorge um unsere natürlichen Lebensgrundlagen mit spirituellen Konzepten verquickt wird, denen ein elitäres Weltbild zugrunde liegt.
Esoterische Verschwörungstheorien
Diese undemokratischen Öko-Phantasien können durch Verschwörungstheorien noch verstärkt werden. Solche Theorien haben sich gerade in den letzten zehn Jahren verstärkt verbreitet, nicht zuletzt durch den Erfolg, den die Bücher des populären Verschwörungstheoretikers Jan van Helsing (bürgerlich: Jan Udo Holey) erhielten. Sie zeichnen in der Regel von den modernen demokratischen Institutionen ein Bild, das diese als willfährige Werkzeuge machtgieriger dunkler Kräfte darstellt. Verschwörungstheoretisch gesehen sind diese Kräfte, die sowohl die Wirtschaft als auch Justiz, Medien, Parlamente und öffentliche Verwaltung unter ihre "vollständige Kontrolle" gebracht haben, intensiv daran interessiert, die "spirituelle Entwicklung" des Menschen zu verhindern, da dies ihrem Streben nach allumfassender Weltherrschaft abträglich ist. Wer jeweils diese dunklen Kräften sind, die ihre geheime Macht entfalten und die Menschheit in ihren Fängen halten, variiert und hängt von der jeweiligen Theorie ab. Mal sind es die Illuminati, mal die Freimaurer, gerne auch die Geheimdienste, die "Bilderberger", die "Schwarze Bruderschaft", die Rockefellers, der Vatikan, Echsenwesen aus dem Weltraum, galaktische Schergen des Xenu und immer wieder sehr beliebt: Die Juden.
Blaupause vieler Verschwörungstheorien sind nämlich oft die Ende des 19. Jahrhunderts in antisemitischen Kreisen entstandenen "Protokolle der Weisen von Zion". Diese "Protokolle" sind nach dem Willen ihrer Autoren die hochgeheimen Pläne einer "jüdischen Weltverschwörung". Obwohl schon kurz nach ihrer Veröffentlichung als plumpe Fälschung entlarvt, sind sie bis heute einflussreich: In ihnen heißt es: "Wir müssen die nichtjüdischen Staatsleitungen zwingen, unseren breit angelegten Plan, der sich schon der erwünschten Vollendung nähert, tatkräftig zu unterstützen. Als Mittel dazu werden wir die öffentliche Meinung vorschützen, die wir insgeheim durch die sogenannte letzte Großmacht - die Presse - in unserem Sinne bearbeitet haben. (...) Wir ziehen uns eine gewaltige Menge an Bankleuten, Fabrikherren, Geldmännern und, was die Hauptsache ist, von Millionären heran; denn in der Wirklichkeit wird doch alles durch die Macht des Geldes entschieden. (...) Da aber alle Völker in Parteien zerspalten sind und der Parteikampf große Mittel erfordert, so hängen alle Parteien und Völker von uns ab; denn das Geld haben wir Juden allein..."
In solchen Textstellen finden sich die zentralen Motive noch heute gängiger Verschwörungstheorien: Antikapitalismus verbindet sich mit einem Ekel vor dem Parteienstreit und der Klage über die zentral gesteuerte Gehirnwäsche durch die Medien. Wie gesagt: Welche Gruppe unterwandert und heimlich die Herrschaft in der Demokratie an sich gerissen hat, variiert je nach Theorie. Allerdings ist der Antisemitismus auffallend oft die stille Schwester moderner Verschwörungstheorien.
Geistige Schulen und Gruppen, die die spirituelle Entwicklung der Menschen fördern wollen, befinden sich den Verschwörungstheorien entsprechend in unmittelbarer Gegnerschaft zu diesen dunklen Kräften. Doch das macht sie gemäß den Verschwörungstheoretikern in Demokratien angreifbar: Da die Institutionen der Zivilgesellschaft selbst Spielball der "dark side" sind, ist es so verständlich, warum heutzutage Medien, Staat und Kirche spirituelle Gruppen "unterdrücken" (juristische Verfolgung von Sekten) oder sie "diffamieren" (Warnung vor Psychokulten). Der Rückschluss ist einfach: Ein spiritueller Mensch kann deshalb von dem "System" nicht viel erwarten. Ihn ekelt vor diesen Machenschaften.
Verschwörungstheorien bieten eine Möglichkeit die aktuellen komplexen Zusammenhänge in Wirtschaft und Politik schlüssig und einfach zu erklären. Ihre antimonopolistische und antiimperialistische Systemkritik analysiert auf eingängige Weise die Zerstörung von alteingesessenen Kulturen und deren natürlichen Lebensbedingungen durch die großen westlichen Staaten. Sie bedienen klassische Ohnmachtgefühle ("die da oben machen doch eh nur, was sie wollen") und formulieren durch ihre antisemitische Kapitalismuskritik ("die Skrupellosigkeit des jüdischen Finanzkapitals") einen Widerspruch zu den Globalisierungstendenzen der modernen Wirtschaft. Dementsprechend können sie bei nordamerikanischen Reservatsindianer genauso auf fruchtbaren Boden fallen wie bei europäischen Neuheiden mit ihrer Vorliebe für alteingesessene Kulturen und Naturromantik.
Angesichts der Dopplung von spirituellem Erleuchtungselitarismus und einer gewissen Akzeptanz von systemkritischen Verschwörungstheorien verwundert es also nicht, wenn man oft in naturreligiösen Kreisen eine versteckte, aber dennoch spürbare Verachtung der Demokratie als einen Ort des Streits, des Konsums und der "Disharmonie" beobachten kann. Es gehört in manchen neopaganen, aber auch neoschamanischen Gruppen zum guten Ton, über das bestehende System die Nase zu rümpfen, demokratische Wahlen der staatlichen Institutionen zu boykottieren und sich aus ehrenamtlichen Tätigkeiten der bürgerlichen Zivilgesellschaft heraus zuhalten. Politisch orientierte Vereine wie der Rabenclan e.V. können beredt Auskunft darüber geben, wie schwer sich die naturreligiöse Szene in Deutschland mit staatsbürgerlicher Verantwortung tut und sehen sich ihrerseits oft Unverständnis ausgesetzt, wenn sie zu Diskussion und Engagement ermuntern.
Fehlendes Verständnis für demokratische Prozesse
Eine solchen Analyse wäre missverstanden, wenn man daraus nun schnurstracks folgern würde, dass solche Gruppen generell oder sogar der Neoschamanismus und das Neu-Heidentum insgesamt offen demokratiefeindlich eingestellt sind. Das wäre eine deutliche Verkennung der Mentalität solcher Gruppen und ihrer Herkunft aus und Anbindung an grün-alternative Mentalitäten. Doch die beschriebenen Mechanismen führen zum einen sicherlich dazu, dass viele Heidengruppen der Sorge um den Schutz und die Pflege von bürgerlich demokratischen Institutionen eher indifferent und uninteressiert gegenüberstehen. Sie bedingen zum zweiten einen unsouveränen Umgang mit Kritik und Gegenkritik in der Neuheidenszene, die weniger als Charakteristikum einer demokratisch geprägten Öffentlichkeit verstanden werden, sondern als Ausdruck spirituellen Unfriedens. Und sie erhöhen drittens deutlich die Gefahr, dass sektenhafte Leitungsstrukturen entstehen, in denen die Mitglieder einer Gruppe ihre Verantwortung umfassend oder partiell an einen oder mehrere weise Führer (oder Goden, Hohepriester, Hexenmeister, schamanische Lehrer, Oberste Druiden, Allsherjargoden etc.) abgeben.
Die größte Gefahr für die Demokratie stellt jedoch die fehlende Konfliktbereitschaft dar, wie sie in einer wehrhaften Demokratie hinsichtlich antidemokratischer Bedrohungen und Ideologien nötig ist. In vielen naturreligiösen Traditionen, die Teil der modernen Esoterikszene sind, besteht nämlich eine deutliche Zurückhaltung, jene spirituelle Richtungen und Kulte offen zu kritisieren, die menschenverachtende, rassistische, paranoide oder autoritäre Züge aufweisen. Denn wenn alle Religionen und spirituellen Kulte einen "Weisheitskern" an Lehren im Sinne Blavatskys aufweisen, der allen gemeinsam ist, dann sind sie auch alle gleichermaßen heilig, ganz gleich ob sie nun Hinduismus, Scientology, Christentum, Ariosophie, Sonnentempler oder AUM heißen. Ist nicht das Etikett "spirituell" per se ein Gütesiegel, das eine Gruppe als Vereinigung aufrechter Kämpfer für das Heilige und Hohe ausweist? Setzt sich nicht jeder "Spirituelle" dafür ein, dass Licht und Liebe sich auf der Welt verbreiten? Warum sollte man dann Gruppen, die von "missgünstigen Sektenbeauftragten" und "fanatisierten Journalisten" als demokratiefeindlich eingestuft werden, kritisieren?Selbst wenn die Vorwürfe stimmen sollten, muss doch jeder seinen eigenen Weg finden. Man ist selbst schließlich kein Rassist oder Antisemit, das reicht doch, oder? Argumentativer Streit und offene Kritik sind ja selbst ein Zeichen für die eigene spirituelle Unausgeglichenheit und für die "Disharmonie" unspirituellen Handelns. Demjenigen, der erleuchtet werden will, steht es besser zu Gesicht, allen spirituellen Richtungen gegenüber gleichermaßen tolerant zu sein.
Eine solch skizzierte "Toleranz" findet man oft in der naturreligiösen Szene. Sie hat dem Heidentum ein ganz spezifisches Problem beschert: Die Toleranz und Ignoranz gegenüber umtriebigen rechtsradikalen, völkischen und faschistischen Gruppierungen des Neuheidentums, die ihre Herkunft in der Ariosophie haben. Die große Zeit rechtsradikaler Neu-Heiden ist zwar vorüber, denn seit 1994 haben sie allmählich die Definitionshoheit im deutschsprachigen Heidentum verloren: Demokratische Heidenorganisationen machen ihnen mit Öffentlichkeitsarbeit und Engagement das Leben schwer.
Allerdings sind solche Gruppen und ihre Ideologen immer noch in der deutschen Heidenszene anzutreffen. Man findet sie hin- und wieder an sogenannten Hexen- und Heidenstammtischen, sie tauchen auf neuheidnischen Internet-Foren vor , sie beteiligen sich gelegentlich an der Organisation heidnischer Feste. Angesichts einer solchen Gemengelage stehen die meisten Naturreligiösen, seien sie nun Hexen, Heiden, Neoschamanen, Keltoi und Asatru (Selbstbezeichnung für Neo-Germanen), noch vor einer wichtigen Entscheidung, die das demokratische Gros der Gesellschaft schon vor langer Zeit getroffen hat: Übersieht man die "kleinen" Differenzen im politischen, um die "Szene" als Ganzes zu einen? Oder macht man, was unter "spirituell erleuchteten" Menschen oft gänzlich unpopulär ist: Aufrecht und mutig die Solidarität aufkündigen und den demokratischen Streit suchen.
Julio Lambing
(1) Auf Referenzen und Belegstellen wurde deshalb bewusst verzichtet.
Was es mit dem rassistischen Flügel des Neuheidentum auf sich hat, beschreibt Teil 2: Rassistisches Neuheidentum.
Dass dennoch nicht pauschalisiert werden darf und auch ein Phänomen wie die Theosophie differenziert betrachtet werden muss, darauf geht die Zusammenfassung ein.
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