Zurück zu Die Walkueren - Inhalt |
Zurück zu Die Quelle: Helgaquiða Hundingsbana I |
Óskmejyar
Erster Teil
Die Walküren in der Helgaquiða Hundingsbana I
Die Quelle: Helgaquiða Hundingsbana I
Der Kampf mit den Hundingssöhnen
Was in der Helgaquiða Hundingsbana I erzählt wird, ist der Nachfolgekonflikt. Die Hundingssöhne verlangen Wergeld. Denn, so die Helgaquiða Hundingsbana(1), sie hatten dem Helgi viel zu vergelten: Große Beraubung und den Tod des Vaters..
Helgi lehnt alle Forderungen ab. Stattdessen stellt er den Hundingssöhnen etwas völlig anderes in Aussicht: einen "mächtigen Sturm grauer Speere und Odins Grimm".(2) Auch an dieser Stelle wirkt es sich aus, dass wir die Vorgeschichte nicht kennen. Die Hundingssöhne, für den Tod Sigmunds mit verantwortlich(3), versuchen, den Konflikt beizulegen. Die Interpretation der ersten Helgaquiða Hundingsbana ist am wenigsten problematisch, wenn man von einem solchen Sachverhalt ausgeht. Dann nämlich erweist Helgi sich der Prophezeiungen der Nornen in den ersten Strophen als würdig.
Hier ist ein erklärender Einschub notwendig: . Die Helgaquiða Hundingsbana I ist ein mittelalterlicher Text, der die Verhältnisse der Altvorderenzeit schildert, wie der Erzähler sie sich vorstellte. Ähnlich wie die Athener des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, die ergriffen den Rhapsoden lauschten, wenn sie Homers Ilias vortrugen, in welcher ganz andere Verhältnisse als in ihrer Lebensrealität herrschten, delektierten sich die Isländer des Mittelalters vermutlich am "mächtigen Sturm grauer Speere", ohne deshalb anschließend loszuziehen und den Nachbarn totzuschlagen.
Das Blutrachemotiv an dieser Stelle der Helgaquiða Hundingsbana I bedarf einer Erläuterung. Allgemein beobachtet man im Rahmen der historischen Forschung eine permanente Ausbreitung des Wergelds anstelle der Blutfehde seit dem frühen Mittelalter. Von der älteren Forschung wurde dabei gern übersehen, dass die betreffenden Gesellschaften eben nicht friedlicher wurden. Stattdessen zeigen zum Beispiel kontinentale Rechtstexte in ihren Wergeldsätzen eine völlig andere Motivation: Gesellschaftlich Hochstehende sowie Exekutivorgane der sich herausbildenden Zentralgewalten werden für Menschen, die nicht den Eliten angehören, vollkommen unantastbar, wogegen das umgekehrt freilich nicht gilt.
Damit einher geht eine Entwicklung der Ablösung der Heerfolge durch Geldzahlungen. Die Folge ist Entwaffnung und Wehrlosigkeit der Landbevölkerung gegenüber einer militärischen und administrativen Elite. Das Friedensbestreben, das diesen Entwicklungen angeblich zugrunde liegt, erfährt eine eigenartige Illustration z.B. durch die im frühen Mittelalter entstehende Gottesfriedensbewegung, die sich bemüht, den totalen zivilisatorischen und ökonomischen Kollaps abzuwenden, den die Fehden des mittlerweile allein bewaffneten Adels mit sich zu bringen drohen. Vermutlich rettete der erste Kreuzzug (1096) Europa, indem ein erheblicher Teil des Gewaltpotentials auf die "Ungläubigen" im Nahen Osten abgeleitet wurde. Das Entsetzen, das die christliche Ritterschaft bei Muslimen und Byzantinern auslöste, zeichnet sich deutlich in den Quellen ab. Aber dieses Gewaltpotential war die Folge der oben benannten Entwicklungen. Die diese stützende Ideologie übertrieb freilich die Grausamkeit der alten Verhältnisse maßlos, was vor allem von der älteren Forschung kritiklos nachgebetet wurde.
Die christliche Friedensbotschaft trat auf als Ablösung eines permanenten Gemetzels, das so freilich nie stattgefunden hatte, und brachte nicht den Frieden, sondern die totale Unterwerfung unter administrative Willkür und permanente Gewalt seitens der Militärelite. Gestalten wie Helgi haben in der mittelalterlichen Ideologie eine Doppelfunktion: Sie stehen für die kompromisslose Grausamkeit der germanischen Heiden, die gebraucht wird, um den christlichen Terror zu rechtfertigen. Und sie sind Vorbildfiguren für die christliche Militärelite. Ein Bischof von Passau ließ nicht ohne Grund der "Nibelunge Not" aufzeichnen: Seine Pfründe waren gefährdet durch die Einfälle der Magyaren, deren Stellvertreter die Hunnen im Nibelungenlied sind. Die grausamen alten Heiden taugten also durchaus als Identifikationsfiguren für christliche Machthaber - nicht aber für christliche Untertanen.
Helgi, ein geradezu archetypischer heidnischer Held, verkörpert das ideologisch verzerrte Racheideal freilich bis zum Exzess. Für ihn ist der Tod Sigmunds durch den Hundings nicht ausgeglichen, eine Beilegung des Konflikts kommt für ihn nicht in Frage. Hier muss nicht einmal eine absichtliche Entstellung seitens des Erzählers bzw. Kompilators vorliegen – tatsächlich ist das unwahrscheinlich. Ich werde auf die Ambivalenz heidnischer Zustände in einer christlichen Quelle noch zu sprechen kommen.
Helgi setzt seine Ankündigung unverzüglich um. Bei Simrock "stampften die Fürsten" "zur Schlachtstätte", im Original fahren Kämpfer zur Schwerterversammlung - aber so reizvoll eine ins einzelne gehende Kritik der Simrock' schen Übersetzung auch wäre, hier ist nicht der Raum dafür.
Sleit Fróða frið fiánda á milli(4) - Froðis Friede zerreißt im Zwischenraum zwischen den Feinden. Auch in anderen Quellen taucht dieses legendäre Zeitalter auf, das Froðis Friede(5) genannt wird und eine Art idyllische Epoche bezeichnet - seltsam bei den doch angeblich so gewaltversessenen Germanen. Hier erfahren wir jedenfalls, dass Helgis Feldzug gegen die Hundingssöhne diesen Frieden beendete. Fara Viðris grey valgiorn um ey(6) - Odins Hündinnen (Wölfe) fahren kampfleichenlüstern über die Insel.
Der Odinsname Viðrir wird von Simek(7) als "Wettergott" gedeutet. Die "Hündinnen des Wettergottes" belegen, dass Hunde durchaus für Wölfe stehen können. Ähnliches wird für die "Hundekrieger" der irischen Sagen (Conchobar, Cú Roi) angenommen. Der Ahn Hundings und seiner Söhne muss also kein "Hund" im engen Sinne sein. In der nächsten Strophe finden wir Hunding als "Geir-Mímir", also Speer-Mímir bezeichnet. Mímir, bezeichnenderweise nicht eindeutig als Ase oder Riese zuzuordnen(8), ist jedenfalls eine sehr weise Figur. Das passt zu Hundings Charakterisierung an früherer Stelle: der harte Hunding, der lange die Länder und die Krieger beraten hatte.(9) Jetzt lehnt Helgi an einem Stein, und alle Söhne Hundings sind tot: Alf und Éyiólf, Hiorvarð und Hávarð.(10) Die Fehde der Wölsungen mit der Aett des Hunding ist zu Ende.
Fußnoten:
(1)Neckel, Edda, S. 127,11,5. Ich verweise hier auf die Originalstelle wegen meiner nachfolgenden Ausführung im Haupttext: gialda ist hier schwierig eindeutig zu übersetzen, vgl. Neckels Angabe in Band II (Glossar), S. 60f. Es kann in beide Richtungen weisen: Die Hundingssöhne haben dem Helgi viel zu vergelten, er hat ihren Vater getötet. Aber auch: Die Hundingssöhne haben dem Helgi viel Buße zu leisten, denn Hunding hat den Sigmund erschlagen. "Denn" (þvíat) könnte sogar ironisch sein: Sie forderten Entschädigung, denn sie schuldeten dem Helgi (nicht umgekehrt!) viel für großen Raub und die Tötung seines Vaters. Ironie ist der Älteren Edda nichtfremd, aber diese Interpretation wäre extrem. Ich trage sie nur vor, um die Unsicherheit vorzuführen, die die Unkenntnis der Vorgeschichte mit sich bringt. Das "denn" deutet freilich auf den Anspruch der Hundingssöhne, nicht auf den Helgis, und die Stelle ist wahrscheinlich so gemeint.
(2)Neckel, Edda, S.127, 12,5: veðrs ins mikla /grára geira ok gremi Óðins
(3)Eben weil sie Hundings Söhne waren. Ein Einzelner (hier: Hunding) handelte nie ohne Konsequenz für seine gesamte Sippe, die er repräsentierte. Darum war es auch durchaus üblich, sich an irgend einem Mitglied der gegnerischen Sippe zu rächen, nicht unbedingt an demjenigen, der den Konflikt ausgelöst hatte. Helgi, als Held, rächt sich an allen. Wir haben hier Verhältnisse staatenloser Gesellschaften vor uns, insbesondere einen Mechanismus, der verantwortungsloses Handeln des Einzelnen stark einschränkt. Statt Legitimierung ausufernder Gewalt zu sein, war die Blutrache ein Teil eines staatslosen Rechtssystems, dessen Zweck es war, Gewalttätigkeit weitestgehend einzuschränken. Eine ganze Flut zumeist veralteter Literatur verherrlicht oder verteufelt die Blutrache, ohne ihren Charakter als Bestandteil eines Rechtssystems zu erkennen. Die unsägliche Ideologie vom "Naturmenschen" spielt hier ebenso hinein wie die ideologische Legitimierung von staatlichen Rechts- und Gesellschaftssystemen. "Der Tod, der auf dem Recht des Souveräns beruhte, sich zu verteidigen oder verteidigen zu lassen, wird nun zur banalen Kehrseite des Rechts, das der Gesellschaftskörper auf die Sicherung, Erhaltung oder Entwicklung seines Lebens geltend macht. Nie waren Kriege blutiger als seit dem 19. Jahrhundert und niemals richteten die Regime – auch bei Wahrung aller Proportionen – vergleichbare Schlachtfeste unter ihrer eigenen Bevölkerung an. Aber diese ungeheure Todesmacht kann sich zum Teil gerade deswegen mit solchem Elan und Zynismus über alle Grenzen ausdehnen, weil sie ja nur das Komplement einer positiven "Lebensmacht" darstellt, die das Leben in ihre Hand nimmt, um es zu steigern und zu vervielfältigen, um es im einzelnen zu kontrollieren und im gesamten zu regulieren.... Wenn der Völkermord der Traum der modernen Mächte ist, so nicht aufgrund einer Wiederkehr des alten Rechts zum Töten, sondern eben weil sich die Macht auf der Ebene des Lebens, der Gattung, der Rasse und der Massenphänomene der Bevölkerung abspielt." Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1983, S. 163 f.
(4)Neckel, Edda, S. 128, 13,5
(5)Simek, Rudolf, Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart 1984, S. 112
(6)Neckel, Edda, S. 128, 14,7
(7)Simek, Rudolf, Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart 1984, S. 422
(8)Simek, Rudolf, Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart 1984, S. 266. Bezeichnenderweise, weil die Unterscheidung aufgrund der engen Blutsverwandtschaft zwischen Asen und Riesen eine schwierige Sache ist. Das Problem besteht im Grunde nur, wenn man vom falschen Bild eines Konflikts zwischen "guten" Göttern und "bösen" Riesen ausgeht.
(9)Neckel, Edda, S. 127, 10,5
(10)Neckel, Edda, S. 128, 14
Weiter zum Auftritt der Walkueren |
Zurück zu Die Walkueren - Inhalt |