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Óskmejyar
Erster Teil
Die Walküren in der Helgaquiða Hundingsbana I
Einleitung
Jeder weiß, was eine Walküre ist - so scheint es zumindest. Eine Straßenumfrage vor laufender Kamera würde sicherlich prächtige Beschreibungen von Walküren hervorbringen. Gewöhnlich fällt an dieser Stelle der Name Richard Wagner. Diese Zuweisung ist aber nur bedingt richtig, denn selbige Straßenumfrage ("Was halten Sie von Tannhäuser?" "Von wem, bitte?") brächte schnell und sicher zum Vorschein, dass so gut wie niemand jemals eine Wagneroper erlebt(1) oder etwas über Wagner gelesen hat. Lohengrin, Parsifal, Meistersinger - Fehlanzeige. Andererseits wären wohl etliche der prächtigen Walkürenbeschreibungen solche von übergewichtigen Frauen mit merkwürdigen Kopfbedeckungen und durchdringenden Stimmen.
Halten wir für den Anfang fest, dass erstens Wagners anscheinend erfolgreichste Schöpfung die Walküre ist, das diese zweitens negativ-lächerlich besetzt ist, obwohl sie - drittens - von Wagner ganz anders intendiert war.
Wagners Walküre wurde zu Beginn der wilhelminischen Epoche erschaffen und gehört fest zum Repertoire der bürgerlichen Germanenrezeption des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts(2). Diese schmetternde Inkarnation bürgerlichen Heroenkitsches überlebte allem Anschein nach als schwergewichtige Vogelscheuche, während die meisten anderen Gestalten, die einst neben ihr die Herzen der Diederich Heßlings(3) höher schlagen ließen, heute schlicht vergessen sind. Wagner erregte übrigens auch hie und da scharfes Missfallen: "... die Bühne Wagners hat nur eins nöthig - Germanen!" schrieb Friedrich Nietzsche 1888. "Definition des Germanen: Gehorsam und lange Beine ... es ist voll tiefer Bedeutung, dass die Heraufkunft Wagner's zeitlich mit der Heraufkunft des "Reichs" zusammenfällt: beide Thatsachen beweisen Ein und Dasselbe - Gehorsam und lange Beine. - Nie ist besser gehorcht, nie besser befohlen worden."(4)
Warum überlebte Wagners Walküre? Der bekannte Germanist und Skandinavist Professor Rudolf Simek befasst sich in "Religion und Mythologie der Germanen" am Rande mit Richard Wagner und meint: "Dennoch hat Wagner der germanischen Mythologie zu einem Durchbruch in der Öffentlichkeit verholfen, wie sie ihn ohne Wagner und seine Musik wohl niemals geschafft hätte."(5)Simeks "dennoch" bezieht sich auf seine Kritik an Wagners Umgang mit den Quellen. Ich sehe mich veranlasst, anzumerken, dass Wagner nicht obwohl, sondern weil er Schindluder mit den Quellen trieb und dem wilhelminischen Publikum Germanen nach Maß lieferte, Erfolg hatte.
Simek begründet Wagners Erfolg erstens mit dessen nationalistisch-politischer Polarisierung und zweitens psychologisch, indem er ein Zitat anführt, in welchem behauptet wird, Wagners Musik beeinflusse das "kollektive Unbewusste." Bei allem Respekt vor Rudolf Simek: Die entsprechende Textpassage liest sich so, als sei in einer kulturell und politisch völlig andersgearteten Situation plötzlich ein monströser Hypnotiseur aufgetreten - nämlich Wagner - und habe ganz allein die wilhelminisch-bürgerliche Germanenrezeption hervorgebracht. Ich habe im Rahmen des Ariosophieprojekts immer wieder festgestellt, dass Ludwik Flecks These von der "Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache" auch und gerade auf diesem Feld zutrifft. Die Bedingung für den Erfolg einer "Tatsache" (oder Lehre oder Kosmologie oder Ideologie) ist Kohärenz: Sie darf keine Widersprüche zum bestehenden Weltbild aufwerfen. Wagner hypnotisierte überhaupt niemanden: Er und die anderen bürgerlichen Nationalisten hypnotisierten sich allenfalls fortwährend gegenseitig.(7) Wagner war, ebenso wie Guido von List und dessen Nachfolger, nicht der große Lehrer, er war der Laufbursche, der lieferte, was verlangt wurde. Genau das ist übrigens der Kern von Nietzsches oben zitiertem Angriff auf ihn.
Ich komme hier auf Simeks kurze Behandlung Wagners überhaupt nur darum zu sprechen, weil die entsprechende Passage mit "Wagner oder: warum wanken Walküren nicht?"(8) überschrieben ist, Simek aber nicht erklärt, warum Wagners Walküre überlebt hat.
Einen Teil der Antwort haben wir bereits oben vorweggenommen: den Kohärenzfaktor. Das Reich nämlich, dem Wagner huldigte, festigte sich durch einen erfolgreichen Angriffskrieg (1870-1871). Der eine oder andere männliche Wagnerianer bekam Gelegenheit, den Siegfried nicht nur zu hören, sondern auch zu spielen - in Netzig(9) oder Winsen an der Luhe beim Lesen der Sonntagszeitung dabei zu sein, war vermutlich fast genauso gut, ganz zu schweigen vom Niederhalten der Sozialdemokratie und verwandtem heroischem Procedere. Und war der bärtige Kaiser nicht fast ein Wotan, und Krupp von Bohlen und Halbach nicht beinahe der mächtige Thor? Den Wagnerianerinnen, hochgeschlossen trippelnd und lispelnd, hätte man dagegen wohl kaum Walkürenhaftigkeiten erlaubt, auch keine wagner'schen. So ist bereits die Wagner' sche Walküre im Kontext ihrer Entstehungszeit eine ambivalente Figur: unverzichtbare Protagonistin des Heroenkitsches zum einen, un-frauliche Frau und mithin Unholdin zum anderen. Frauen stärker und teilweise in aktiveren Rollen in ein antidemokratisches Regime einzubinden gelang erst im Dritten Reich. Ein Walküren-Pendant als soziale Rolle sucht man aber auch dort vergebens.
Sind es wirklich der Kitsch, der Bombast, die nationalistisch-chauvinistischen Inhalte Wagners, wegen denen die Wagner' sche Walküre zur Spottfigur wurde? Oder ist die Wagner' sche Walküre vielmehr eine Vogelscheuche, um in Immernoch-Deutschland und anderswo bestimmte Formen weiblichen Verhaltens in die Pfanne zu hauen?
Wer sich einmal wieder als lernfähig erweist, ist die Neue Rechte: "Nicht unwesentlich finden wir in diesem Zusammenhang folgende Überlegung ... : Innerhalb des rechten Spektrums schafft das Primat der rassistischen Trennlinien vielleicht gerade den Freiraum, in dem das Geschlechterverhältnis modernisiert werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Bezug zu einer angeblichen natürlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau bei den Germanen hergestellt wird. Die Vielfältigkeit der lebbaren Frauenbilder könnte gerade das Attraktive an rechten Gruppierungen sein. Die Akzeptanz des So-sein-wie's-mir-entspricht, allerdings immer im rassistisch determinierten Rahmen macht es (weißen deutschen) Frauen vielleicht leichter, sich einer rechten Gruppierung zuzuordnen, als wenn sie mit der Erwartung, einem bestimmten Frauentyp zu entsprechen, konfrontiert sind. Eine Festlegung auf ein ganz bestimmtes Frauenbild und vor allem seine stärkere Setzung und Durchsetzung als Norm könnte demnach die Attraktivität rechter Gruppen für Frauen mindern."(10)
Das heißt: im rechten politischen Lager hat man kapiert, was der Großteil der politischen Linken und (vor allem) der deutschen Feministinnen seit über zwanzig Jahren nicht einsieht. Die Vielfalt der lebbaren Frauenbilder, wer Ohren hat, der höre. Das kann das linke, linksalternative und feministische Spektrum noch heute kaum von sich behaupten,(11) was den verbitterten Ton der Autorinnen auch hinlänglich erklärt.
Man beachte dabei das "angeblich" bei der Behandlung der germanischen Geschlechterrollenverhältnisse. Renate Bitzan und Beate Hans, die Autorinnen des oben zitierten Textes, wissen selbstverständlich besser, wie die Verhältnisse im germanischen Altertum waren - so viel besser, dass sie zu der ganzen Angelegenheit kein weiteres Wort mehr verlieren.
Warum verzichte ich nicht auf eine solche Einleitung, wenn ich über die óskmejyar(12) schreibe? Weil auch nach über zehn Jahren jedes Wort über Germanen im Allgemeinen und Walküren im Besonderen auf die Goldwaage gelegt werden und durch verhältnismäßig umständliche Besprechung rechter Vereinnahmung der Thematik eingeleitet werden muss. Einen kurzen Artikel über Walküren zu schreiben ist also in unseren Tagen schlicht unmöglich – es sei denn freilich, man ist ein Rechter oder schert sich nicht um deren Umtriebe. Dann kann man sogar (z.B. bei Viking-Metal-Bands) Lieder über sie schreiben und Nazi-Metaller damit beglücken.
Ich möchte mich hier mit den Walküren in der Helgaquiða Hundingsbana I befassen. Eine quellenkritische Diskussion ist zwar unabdingbar, aber immerhin lassen sich Walküren quasi in Aktion beobachten, und zwar nicht nur über den Himmel reitend. Heirateten skandinavische Krieger hin und wieder weibliche Kriegsdämonen? Wählten Frauen in bestimmten sozialen Rollen ihre Männer nicht nur selbst, sondern ließen sich dabei auch nicht die Initiative aus der Hand nehmen? Brachen sie gelegentlich Kriege vom Zaun und nahmen sie entscheidend Einfluss auf diese? Waren sie menschliche Frauen, Geistwesen oder beides? Das sind einige der Fragen, mit denen sich zu befassen sein wird.
Aber solange an jeder zweiten Straßenecke und vor jeder billigen Getränkehandlung ein Analphabet mit Thorhammer vor sich hin stiert, ist die Zeit für einen leichten (sprich: leichtfertigen) Umgang mit dieser Thematik noch nicht reif.
Fußnoten:
(1) Wohlgemerkt: ich empfehle dies nicht und fordere niemanden dazu auf, Wagneropern anzuhören. Ich bin in diesem Punkt völlig einer Meinung mit Friedrich Nietzsche und halte Wagner für gesundheitsgefährdend. Meine geschätzten Leserinnen und Leser müssen schon genügend Schreckensszenarien ertragen - man muss es nicht übertreiben.
(2) Mit welcher ich mich im 6. Kapitel von "Etiam sanctum aliquid et providum" sowie in "Nationalismus - Die Fallgrube aus dem 19. Jahrhundert" befasst habe.
(3) Diederich Heßling ist die Hauptfigur in Heinrich Manns Roman "Der Untertan", der gründlich mit der wilhelminischen Epoche abrechnet.
(4) Friedrich Nietzsche, der Fall Wagner. Nietzsche, Kritische Studienausgabe Bd. 6, München 1999/2002, S. 39
(5) Simek, Rudolf, Religion und Mythologie der Germanen, Darmstadt 2003. S. 18
(6) ebd.
(7) Reichte das einmal nicht, standen ihnen ja andere Methoden zu Gebote: Gefängnis, Hinrichtung, Klinik.
(8) ebd., S.17
(9) ... wo Heinrich Mann Diederich Heßling residieren und als Papierfabrikant tätig sein ließ
(10) Bitzan, Renate/Hans, Beate: Von rechten Kämpferinnen und braven Biederfrauen
gender killer
http://www.nadir.org/archiv/Feminismus/genderkiller/gender_9.html
(11) Von der Heidenszene will ich hier gar nicht erst anfangen. Dort etwas anderes zu erwarten als Versagen auf der gesamten Linie, wäre in keiner Weise zu rechtfertigen.
(12) Wunschmädchen - also Mädchen, die Odhinns Wünsche erfüllen
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