Rabenclan

Verein zur Weiterentwicklung heidnischer Traditionen e.V.

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Martin Marheinecke Heiden Naturreligion
28.04.2017, 09:55

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Heidentum und Naturreligion

Eine persönliche Reflexion



Wir verehren die Natur. Sie ist heilig und schützenswert.

Wir stehen in der Nachfolge der alten vorchristlichen Religionen Europas. Wir sehen es als unsere Aufgabe, deren altes Wissen zu sammeln, zu bewahren und anzuwenden.

Wir respektieren das persönliche Recht des Einzelnen auf freie Religionsausübung; die verschiedenen Strömungen innerhalb des Heidentums sind gleichberechtigt.

Wir erwarten von unseren Mitgliedern, dass sie die Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen.

Wir lehnen Gruppierungen und Einzelpersonen ab, welche die Freiheit und Würde des Menschen missachten.

Präambel der Vereinsatzung des "RABENCLAN - Arbeitskreis für Heiden in Deutschland e. V." *


* (Anmerkung der Redaktion: Der Artikel bezieht sich auf jene Präambel, die von 1994 bis 2007 gültig war. Seit 2007 gibt es eine neue Präambel der Vereinsatzung.)




Für uns moderne Heiden bzw. Neuheiden sind "Naturreligion" und "Heidentum" eng miteinander verknüpft, ja weitgehend gleichbedeutend. Die Präambel der Rabenclan-Satzung ist ein gutes Beispiel für diese Auffassung.

Nun ist es aber so, dass nicht jeder unter "heidnisch" und "naturreligiös" dasselbe versteht. Damit stellt sich eine wichtige Frage:

Ist eine allgemein verbindliche Definition, was heidnisch und naturreligiös bedeutet, notwendig, zum Beispiel damit Heiden unterschiedlicher Richtungen sinnvoll zusammen arbeiten können? Vermeidet, anders ausgedrückt, eine klare Sprachregelung unnötigen Streit?

Meine Antwort lautet: Nein! Um sämtlicher Götter und des Friedens willens NEIN!

Religion (wortwörtlich: Rück-Verbindung) ist persönliche Erfahrung. Glauben ist immer sehr persönlich, subjektiv - wie Liebe, Vertrauen, Treue, Mut. Religionen, die auf die persönliche Erfahrung keinen Wert mehr legen und vergessen, dass Glaubenswahrheit stets subjektive Wahrheit ist, pervertieren zu Ideologien - oder zu Wahnsystemen. Das Streben nach eindeutigen und allgemeinverbindlichen Definitionen in Bereichen wie der Religion, in der eindeutige und allgemeinverbindliche Definitionen des persönlichen, subjektiven Charakters der Religion wegen nicht möglich sind, ist eine nie enden wollende Quelle des Streits. Die blutige Geschichte der großen monotheistischen Offenbarungsreligionen Christentum, Judentum und Islam ist ein warnendes Beispiel.

Offenbarungsreligionen legen offenbar alle sehr viel Wert darauf, dass solche grundsätzlichen Fragen eindeutig geklärt werden - je nach Religion nur für ihre Anhänger (wie bei den Juden, ein Grund, weshalb ich diese Religion / Tradition sehr respektiere), oft aber gleich für die ganze Menschheit und mit Unfehlbarkeitsanspruch (wie im Falle der katholischen Kirche). Wie die historische Erfahrung von den Tagen Kaiser Constantins I. bis heute immer wieder zeigt, neigen die Anhänger besagter Offenbarungsreligionen dazu, sich über Grundsatzfragen dieser Art gern und kräftig zu streiten. Dieser Streit - oft über winzige Details- eskaliert gar nicht mal so selten zu sogenannten Religionskriegen. Oder, genauer gesagt, er liefert ungemein praktische Vorwände dafür, dem Mitmenschen aus niederen Beweggründen eins überzubraten. Meist sind diese Beweggründe schnöder ökonomischer Art, da ist ein heiliger Zweck, der selbst unheilvolle Mittel heiligt, sehr willkommen. Ja, Erobern, Plündern, Rauben, Vergewaltigen, Kaputtmachen macht mit dank "göttlichem Auftrag" Ariel-reinem Gewissen doppelt so viel Spaß! "Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein!" Die Offenbarungs-Religion kann bei Bedarf auch durch eine quasi-religiöse Offenbarungs-Ideologie ersetzt werden. Wobei die meist unfreiwilliger "Stifter" dieser Heils-Ideologien von Karl Marx bis Adam Smith in ihren Gräbern wäscheschleuderartige Drehzahlen erreichen würden, wüssten sie, was aus ihren Gedankengängen gemacht wurde und wird. (Den Stiftern "echter" Religionen dürfte es meistens nicht anders ergehen.)

Kulturen, die nicht von Offenbarungsreligionen oder vergleichbaren quasi-religiösen Heilslehren geprägt werden, kennen keine Religionskriege! Das heißt nicht, dass heidnische Kulturen nicht oft kriegerisch wären. (Es gibt schließlich Kriegsgötter.) Aber es gibt einen großen Unterschied im Konzept.

Der Buddhismus wird gern gelobt, weil er die angeblich einzige große Religion sei, die keine Religionskriege geführt hätte. Das stimmt sogar, was religiös begründete Kriege betrifft. Es stimmt aber nicht, dass alle Buddhisten Pazifisten wären: Man denke nur an den Zen-Buddhismus japanischer Samurai. Der angeblich grundsätzlich gewaltlose Buddhismus kann Grundlage einer Krieger-Philosophie sein - was auch im angeblich so friedlichen "alten Tibet" der Fall war. Aber es gibt keinen "harten Kern" an "ewigen Wahrheiten", für die man "Andersgläubige" guten Gewissens abmurksen darf.

Natürlich darf ein Christ, der die Bibel ernst nimmt, niemanden töten. So wie ein Buddhist nicht töten darf. In beiden Religionen nehmen viele Anhänger es mit diesem Verbot nicht so genau. Dennoch ist die Geschichte des Christentums ungleich blutiger als die des Buddhismus. Der Grund dürfte im absoluten, universellen, nicht-hinterfragbaren Wahrheitsanspruch liegen, den fast alle Richtungen des Christentums hegen. Buddha lässt die "letzten Fragen" nach der Schöpfung und dem Schöpfer, die z. B. Christen so unheimlich wichtig sind, bewusst offen. Seine Lehre läßt sich deshalb nicht so leicht zur ideologischen Waffe pervertieren. Das trägt meines Erachtens sehr viel mehr zum Frieden bei als all seine Gebote, friedfertig zu sein.

Für heidnische Religionen gilt grundsätzlich dasselbe: Die "letzten Fragen" werden nicht eindeutig geregelt, Schöpfungsmythen bleiben offen und ihre mythologische Wahrheit wird nicht mit der historische Wahrheit verwechselt. Heiden sind nicht automatisch religiös toleranter als z. B. Christen. Aber es erfordert für einen gläubigen Christen ungleich mehr Toleranz, mehr Kampf mit den eigenen Überzeugungen, um mit einem Andersgläubigen zusammen zu leben, zu arbeiten, zu feiern, als für einen Heiden. Wir haben es leichter - nutzen wir das!

Viele Götter stehen für Vielfalt. Das Heidentum, das Alte wie das Neue, ist vielfältig. Nicht nur die Hexen sind wieder da. Überhaupt - Hexen! Da gibt es Wiccas, Vayas, Freifliegende Hexen, "Reclaiming Witches", Voodoo-Hexen und viele, viele mehr. Auch die Kelten sind wieder da. Und die Asatrú: Germanen, die mit Rassismus und Nationalismus nichts, aber auch gar nichts am Hut haben! Und die in Deutschland so gern vergessenen Slawen. Die nicht-christlichen und nicht-islamischen religiösen Bäuche nicht weniger Roma gehören genau so zum heidnischen Erbe Europas wie die klassische Mythologie der Römer und Griechen. Auch die Hellenisten und Romanen sind also wieder da - "Bacchus lebt!" Er lebt wie jene Samen (Lappen) im hohen Norden Europas, die ihre alte Naturreligion zäh bis heute verteidigen. Und mit ihnen allen kommt die ganze heidnische Vielfalt: Schamanen, Heidnische Mystiker, Neue Amazonen, Weise Frauen, Waldläufer, Stadtveränderer, Trance- und Ekstase-Grenzgänger, Zaunreiterinnen, Kräuterfrauen und Ritualmagier, [=Naturverehrer Innen?}] aller möglichen Spielarten und Mischformen.

Individualisten sind wir allesamt. Der Vorwurf, wir würden uns Eigenbau-Religionen auf eklektizistische Weise zusammenbasteln, den Vertreter der Kirchen so gern erheben, der zieht nicht. Wir nehme uns einfach das Recht, selbst zu entscheiden, was wir glauben, verehren, anbeten wollen - anstatt auf die fertigen, vorgebeteten, vorgekauten, angeblich allgemeingültigen und sich doch heftig widersprechenden Regeln der Offenbarungsreligionen zurückzugreifen. Jeder Weg, der für den einen der einzig Richtige ist, kann für die andere Lebenserfahrung schon wieder der Falsche, der Schädliche sein. Ein jeder Glaube ist allein subjektiv und persönlich wahr. Er ist nicht einfach auf andere übertragbar. Wie oben erwähnt: Religion (wortwörtlich: Rück-Verbindung) ist persönliche Erfahrung oder nichts. Für uns gibt es keine allgemeinverbindliche "objektive" Wahrheit. Wahrheit ist immer subjektiv, und die eigene persönliche Wahrheit schließt die des anderen nicht aus. Jede muss ihren, jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Wenn es sein muss, selber finden. In jedem Fall aber: selber verantworten. Wir kochen unser religiöses Süppchen lieber selber, anstatt uns einen faden Eintopf aus der kirchlichen Volksküche anzutun. Und wir gehören auch nicht zu jenen, die sich auf die Schnelle einen "Big Spirit" mit "Erleuchtungs-Salat" und "Karma-Cola" bei "Mc Eso?" reinpfeifen.

Diese Vielfalt bringt es mit sich, dass wir uns streiten können wie die Raben - ich vermute manchmal, dass unser Vereins wegen dieser häufigen Streitigkeiten Rabenclan heißt. Starke Individuen mit starken, mitunter drastisch unterschiedlichen, Überzeugungen - da geht es bei Diskussionen eben kerniger zur Sache als im Briefmarkenclub. Vergleichbar allenfalls mit den Flügelkämpfen in der Ortsgruppe einer politischen Partei, die noch nicht zum stromlinienförmigen Wahlkampfverein verkommen ist. Aber vergleichen wir einmal: Die z. B. im Rabenclan vertretenen Richtungen haben mitunter weniger miteinander gemein, als z. B. Zeugen Jehovas mit schiitischen Moslems. Wenn man sich ansieht, wie schlecht es mit der Ökumene selbst zwischen der katholischen, der evangelischen und der orthodoxen Kirche klappt, dann geht es bei uns geradezu himmlisch harmonisch zu.

Was eint uns? Eigentlich nur das: Wir sind alle naturreligiös (und wir missionieren nicht).

Spätesten an dieser Stelle ist die ungeduldige Frage des nur neugierigen neutralen Beobachters fällig: "Ja, schön und gut, ich seh ja ein, dass es besser ist, dass es keine allgemein verbindliche Definition für heidnisch und naturreligiös gibt. Ich sehe sogar ein, dass es gar keine allgemeingültige Definition geben kann. Trotzdem: Was versteht ihr unter heidnisch und naturreligiös - wenigsten so ungefähr und in groben Zügen?"

Tja, leider kann ich nicht einmal mit "Rabenclan-eigenen" Definitionen dienen. Die Sache ist eben zu subjektiv, zu individuell. Ich versuche aber trotzdem, die Frage zu beantworten - nach bestem Wissen und Gewissen, als schlichter Martin Marheinecke, und ohne für alle meine Mit-Heiden sprechen zu wollen.

Was heißt also heidnisch?

"Heidentum" war ursprünglich ein "Gegenbegriff", der die Feinde des Christentums bezeichnete und polemisch mit "Aberglaube", "Vielgötterei" oder gar "Gottlosigkeit" in Beziehung setzte. Auch heute noch bezeichnen viele Christen in alter Tradition alle Nicht-Christen als "Heiden", egal, ob diese in Wirklichkeit vielleicht Atheisten, Buddhisten oder einfach nur konfessionslos sind - nur Juden und manchmal Moslems werden ausgenommen. Andere setzen "heidnisch" immer noch gern mit "unzivilisiert", "barbarisch", "primitiv" gleich. Der von mir geschätzte Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm benutzte z. B. den Begriff "heidnisch" um eine oberflächlich-diesseitsbezogene Haltung zu kennzeichnen, die sich weder um tieferes religiöses Empfinden noch um Humanität schert. Für den von mir nicht so geschätzten Sekten- und Esoterik-Kritiker Peter Kratz bedeutet "neuheidnisch" gar bewußte Abkehr vom humanistisch-demokratischen Wertesystem, und von der Idee der Gleichheit aller Menschen wenigstens vor Gott, in Richtung "Selbstvergottung", Machtphantasien, Elitedenken, Rassismus, letztendlich Faschismus.

Wenn wir uns also "Heiden" nennen, entspricht das also in etwa den Homosexuellen, die die einstigen Schimpfwörter "Schwuler" und "Lesbe" zur selbstbewussten Eigenbezeichnung gemacht habe. Viele Neuheiden bezeichnen sich dennoch lieber als Angehörige der "alten Religion", der vorchristlichen Religion, als Polytheisten oder einfach als naturreligiös. Und falsch ist das ja nicht, auch wenn das Adjektiv "alt" in vielen Fällen in Gänsefüßchen gehört.

Menschen, die sich selbst als (neu-)heidnisch verstehen, sind nicht areligiös oder gar antireligiös - zumindest wenn es ihnen mit dem Heide-Sein ehrlich ist, und sie sich nicht nur aus Gründen der Rebellions-Romantik so nennen. (Von neo-nazistischen "Heiden" will ich hier erst gar nicht anfangen.) Neuheiden haben ein Bekenntnis - oder gleich mehrere, denn heidnische Götter sind nicht eifersüchtig. Man kann ohne weiteres z. B. zugleich Hexe und Asatrú sein. Die meisten von uns führen Riten aus - zur Enttäuschung der Boulevard-Journalisten tanzen dabei aber nur wenige von uns nackt im Mondenschein. Die meisten - aber nicht alle! -Heiden glauben an transzendenten Mächte, die Namen tragen. Viele von uns sind Polytheisten, glauben also wie z. B. auch die Hindus oder die Anhänger der japanischen Shinto-Religion an eine Vielzahl von Göttern. (Kleiner Seitenhieb auf jene, die "Vielgötterei" stets mit "grauer Vorzeit" und "primitiv" in Verbindung bringen.) Aber es sollen auch schon Pantheisten und sogar synkretistische Monotheisten in Heidenkreisen gesichtet worden sein.

Heiden, die an Götter glauben, glauben nicht unbedingt daran, dass diese Götter persönliche Wesenheiten sind, die für die Lenkung und Erhaltung des Kosmos wie auch des individuellen Lebens zuständig sind. Bei manchen Neuheiden geht es vielmehr frei nach der Jung'schen Psychologie darum, die Archetypen oder seelischen Kräfte ernst zu nehmen, die in diesen göttlichen Gestalten ihren Ausdruck finden und schöpferisch wirken. Mindestens eben soviele Heiden sind sich aber sicher, dass die Götter reale, lebendige, individuelle Wesenheiten sind, mächtig, aber nicht allmächtig. Sehr viele Heiden glauben mindestens so innig an die Götter und deren Beistand, wie fromme Katholiken an ihre zahlreichen Heiligen glauben. (Viele dieser Heiligen sind übrigens christlich überformte Götter und Göttinnen - die "Muttergöttin" Maria ist das hervorragenste Beispiel.) Es gibt Heiden, die sogar ein sehr intimes Verhältnis zu "ihren" Göttern pflegen, man kann durchaus von persönlicher Freundschaft sprechen.

Aber das ist nur die Oberfläche. Heidentum ist im Kern etwas, was sich auf das Handeln bezieht! Woran dabei geglaubt wird ist, im Gegensatz zu Offenbarungsreligionen, eigentlich nicht so wichtig. An dieser Stelle müsste es auch unser ahnungsloser neutraler Beobachter kapiert haben: Es gibt keine heidnische Glaubenslehre, also keinen "Glauben" im christlichen Sinne! Und wo es keine Glaubenslehre, keine Ideologie, oder neutral formuliert, kein Aussagensystem gibt, kann es also auch keinen Widerspruch geben, wenn Christen ihren Glauben, also ihr Aussagensystem gegenüberstellen. (Ja, ja, ich gebe es zu - diese eingebaute heidnische Toleranz ist leider oft Theorie. Allzu schwer wiegen christlich geprägte Glaubensvorstellungen nach, allzu menschlich sind die Vorurteile, Enttäuschungen, manchmal der Hass.)

Attach:MartinMarheineckeHeidenNaturreligion_horus.jpg Δ Heidentum beeinflußt unsere Lebensorientierung und Lebensführung und dient der Selbstverwirklichung. Heidentum bedeutet weniger das Fürwahr-Halten eines bestimmten Glaubenssystems als ein ganzheitliches Lebens-, Liebes- und Arbeitsprinzip. Viele - wenn nicht die meisten - Heiden trennen nicht zwischen kultureller Identität und Religion, im Gegensatz zum üblichen Religionsbegriff der Kirchen. Das erklärt auf der positiven Seite das große Interesse vieler Heiden an alten oder "exotischen" Sprachen, an Kultur, Geschichte. Das erklärt auf der Kehrseite aber auch den Hang einiger Heiden, anzunehmen, "ihre" Religion sei nur etwas für Menschen einer ganz bestimmten etnischen Gruppe, Haut- oder Haarfarbe oder geographischen Herkunft. Die "völkischen Asatrú" sind ein "gutes" Beispiel für diesen politisch oft fatalen Hang, der nicht selten in Rassismus, Nationalismus und ähnlich unangehmen Dingen mündet. Nur eine Minderheit unter den Heiden steht in erklärter Feindschaft zum Christentum oder vertritt den Anspruch, eine "ursprüngliche", vom Christentum gewaltsam unterdrückte Religion wieder zu erwecken. Die meisten Heiden sind religiös tolerant. Tolerante Heiden machen nun aber weniger Schlagzeilen, als die sehr wenigen Spinner, die manchmal Kirchen anzünden oder öfter mal vom Kirchen-Anzünden faseln.

Ist Neuheidentum Naturreligion? Und was ist Naturreligion überhaupt?

Die meisten von uns würden das über das Gefühl und die Lebenspraxis, sozusagen aus dem Bauch raus, beantworten. Zum Beispiel so: "Wenn im religiösen Zusammenhang von Natur die Rede ist, dann allgemein von freier, einigermaßen unberührter Natur (Ackerbau nicht ausgeschlossen). Du wirst doch nicht bestreiten, dass einen in Wald und Feld, in den Bergen oder an der Küste andere Gefühle überkommen als beim Anblick von Silberfischchen in der Wohnung, Steinmarderspuren unter der Motorhaube oder beim Beobachten von städtischen Flugratten? Ich denke, es ist ein grundsätzlich gradueller Unterschied. Wer sich nicht direkt aus der Natur, sondern direkt aus dem Supermarkt ernährt, hat ein anderes Verhältnis zu Lebensmitteln. Nur mal als Beispiel. Den Wert der Dinge in Geld zu messen und nicht in Arbeit oder Nützlichkeit oder Schönheit, ist auch ein Unterschied. Warum ist Neuheidentum eigentlich Naturreligion? Weil es im Leben in der freien Natur seine Wurzeln hat. Das würde ich von den anderen, den Offenbarungsreligionen, nicht so sagen. Die haben eher eine intellektuelle Basis."

Aber es gibt selbstverständlich auch regelrechte Definitionen. Die dem oben genannte gefühlsmäßigen Ansatz nicht widersprechen, ihn aber ergänzen: Zum Beispiel: "Unsere heidnischen Weltbilder sind animistisch (wir glauben an die beseelte Natur)." Nicht nur wir Menschen "haben" eine Seele, sondern auch Tiere, Pflanzen, Berge, Flüsse, Meere sind beseelt. Es ist naturreligiös gesehen eine unglaubliche Überheblichkeit, etwas anderes zu behaupten. Viele Tiere sind sich ihrer selbst bewusst - was sich sogar mit den Mitteln der angeblich so seelenlosen Naturwissenschaft nachweisen lässt. Selbst von Menschen hergestellte Dinge sind in gewisser Weile beseelt, besitzen ihren Charakter: Man denke nur an alte Häuser - generationenlang wurden in ihnen Menschen gezeugt, geboren, haben gelebt, gefeiert, getrauert, sind dort gestorben. Ein Teil ihrer Seelen färbte auf das Gemäuer ab. Künstler sind mit Leib und Seele bei ihrer Kunst - oder sie sollten es zumindest sein. Ihre Seele lebt in ihren Werken weiter. Oder man denke an die Redensart, die mehr als eine Redensart ist, ein Konstrukteur hätte "sein Herzblut" oder "einen Teil seiner Seele" in eine Maschine, Schiff, Flugzeug, Auto oder Computerprogramm eingebaut. Aus naturreligiöser Sicht ungleich wichtiger ist, dass die Erde beseelt ist. Die Erde ist kein "Leben tragender" Planet, sie ist ein lebender Planet. Anfang der 1970-er Jahre formulierte der Atmosphärenchemikers und Ökologe James E. Lovelock seine berühmte Gaia-Hypothese.

Sie geht davon aus, dass das komplette Ökosystem der Erde einen sich selbst regulierenden Kollektivorganismus bildet - und ist in dieser Form eine solide, weil prüfbare, naturwissenschaftliche Hypothese. Die meisten Heiden gehen weiter, sie billigen der Erde zumindest eine Seele, wenn nicht ein kollektives Bewusstsein zu. Einige von uns gehen so weit, die Mutter Erde buchstäblich als Göttin zu verehren, andere setzen sie gar mit der Großen Göttin gleich. Das aber ist wiederum subjektive, persönliche Religiosität: Es sind nur einige Heiden, die das glauben.

Worin wir aber übereinstimmen (zumindest hoffe ich, dass wir darin übereinstimmen): Unser Planet und das Leben auf ihm sind heilig, und der Schutz des Lebens und der natürlichen Umwelt sind ein Akt der Verehrung: "Umweltschutz ist Gottesdienst." Ich persönlich glaube darüber hinaus: "Die Natur unseres Universums und unseres Planeten ist eine Manifestation des göttlichen Seins, das Göttliche wohnt dem Kosmos inne" und nähere mich damit dem Pantheismus. Aber das ist für mich richtig, anderen Heiden mögen und sollen Anderes glauben.

Eine weitere Definition geht von einen ganz anderen Ansatz aus - und mehr vom Intellekt her: Der Begriff Naturreligion ist nämlich ursprünglich die deutsche Übersetzung des lateinischen religio naturalis. In ihm kommt die naturgegebene Möglichkeit des Menschen zum Ausdruck, unabhängig von den "göttlichen Offenbarungen" privilegierter Propheten zur "Gotterkenntnis" bzw. zur spirituellen Einsichten zu gelangen. Auch diese alte Definition trifft auf uns zu, denn wir berufen uns nicht auf irgendwelche heiligen Schriften, Propheten oder Gurus - wie heißt es doch so schön in der Rabenclan-Satzung: "Offenbarungsreligionen werden ausdrücklich nicht vertreten."

Im Sprachgebrauch z. B. von Schulbüchern wird immer noch gerne alles, was keine "Hochreligion" ist (also die monotheistischen Religionen plus manchmal den "asiatische Religionen" Hinduismus, Buddhismus, Taoismus und Shintoismus) als "Naturreligion" bezeichnet. Hier ist "naturreligiös" oder auch "stammesreligiös" ein Euphemismus für den in Lehrbüchern verpönten Begriff "heidnisch". Auch gemäß diesem Sprachgebrauch sind wir Neuheiden also naturreligiös.

Und dann gäbe es noch jene, die Naturreligion mit einer magischen Weltsicht gleichsetzen. Heiden haben in mehr oder weniger ausgeprägter Form ein magisches Weltbild - die wichtigsten heidnischen Richtungen sind magische Religionen. Eine Erklärung, eher man uns für hoffnungslos abergläubisch hält. ("Aberglauben" verstanden als Glauben wider besseren Wissens: "Ich weiß genau, das es nicht stimmt, aber ich glaube daran". Blinde Technikgläubigkeit ist z. B. auch eine Form des Aberglaubens.) Magie bedeutet für die meisten Heiden, Hexen und Schamanen nicht das Aufheben von Naturgesetzen, sondern die Kunst, Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen zu bewirken. Die Realität wird vom eigenen Willen bestimmt, indem die hinter den Erscheinungen verborgene Dinge mit Hilfe angemessener Worten und Taten, die im richtigen Bewusstseinszustand gesprochen und ausgeführt werden, angesprochen werden. Magie zeigt sich unter anderem in dem, was Rationalisten wiederholte glückliche Zufälle, psychologische Tricks, subtile Manipulationen, oder noch unerklärte Naturphänomene, allenfalls Psi-Phänomene oder Sychronizität im Sinne C. G. Jungs nennen. Das verträgt sich übrigens hervorragend mit der modernen Naturwissenschaft - von der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie bis zur dynamischen Ökologie. Zumindest ist der schlichte Begriff "Magie" klarer und ehrlicher als die nebulösen Umschreibungen gängiger Esoterik-Schwarten. Wir Heiden haben in aller Regel keine Probleme magisch zu Denken - ergo sind wir auch so gesehen naturreligiös.


Zum Schluss noch zwei Fragen: Sind wir Heiden also bessere Menschen als Christen, Moslems, Buddhisten, Juden, Atheisten oder Materialisten?

Nicht die Spur!

Sind wir rücksichtsvoller, naturfreundlicher, weiser als andere?

Das hängt von uns ab!

Martin Marheinecke, Januar 2003


Ich danke Duke und Berna, aus deren Texten ich mir Einiges abgeschaut habe. << Keine Panik wenn der Förster kommt - Tipps für Versammlungen unter freiem Himmel | Liste Nach Autoren | Johann Kruse und das Hamburger Hexenarchiv >>

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