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Pachamama und die Rechte der Natur |
In der politischen Rhetorik insbesondere Boliviens hat neben Buen Vivir auch der Begriff «Pachamama» eine große Karriere begonnen. Pachamama wird zumeist als «Mutter Erde» übersetzt. Die Regierung Boliviens hat sogar erreicht, dass der 22. April von der UNO zum Tag der Pachamama deklariert wurde. Einer größeren Öffentlichkeit wurde die Pachamama bzw. Mutter-Erde-Rhetorik bekannt, als die Regierung Boliviens unter Berufung auf die «Rechte der Mutter Erde» dem Kompromiss bei den Klimaverhandlungen in Cancun widersprach. Die Verabschiedung einer «Charta der Rechte der Mutter Erde» war wichtiger Bestandteil des alternativen Klimagipfels, den die Regierung Boliviens 2010 in Cochabamba organisierte und der mit einer großen Beteiligung von NG Os? und sozialen Bewegungen Lateinamerikas zählen konnte.
«Pacha» ist ein Schlüsselbegriff der andinen Kulturen.13 Es ist ein vieldeutiger Begriff, der auf die Gesamtheit des Seins zielt. Er umfasst nicht nur Raum und Zeit, sondern auch «eine Form des Lebens, die das Zeit-Raum-Schema überwindet. Pacha ist nicht nur Zeit und Raum, es ist die Fähigkeit, aktiv am Universum teilzuhaben, in es einzutauchen, in ihm zu sein». «Manqhapacha» ist die tellurische (erdbezogene) Dimension des Pacha, es verweist auf das Innere der Erde als Ursprung. «In Bezug auf den Menschen ist Manqhapacha die innere Welt und in der Wahrnehmung repräsentiert es das Unterbewusste» (beide Zitate: Huanacuni 2010, S. 19f).
«Mama» ist das Quechua-Wort für Mutter, das heute auch in anderen indigenen Sprachen benutzt wird. Pachamama ist daher die tellurische Mutter der Welt und des Seins. In der andinen Religion gab es keine Abbilder der Pachamama. Die heute feilgebotenen Figuren sind Ergebnis der Verschmelzung mit der Gottesmutter Maria im Katholizismus.
Parolen wie «Pachamama ou Muerte» (Evo Morales) wirken in Europa befremdlich. Renaud Lambert hat in der Le monde diplomatique vom 11. 2. 2011 verständliche Vorbehalte pointiert und polemisch vorgetragen. Er befürchtet, «dass die indianischen Volksbewegungen sich unter dem Einfluss der NG Os? nach und nach von ökologischen Begrifflichkeiten vereinnahmen lassen – und die politisch-soziale Bedeutung ihrer Forderungen vergessen könnten. Die Pachamamisierung des Denkens schreitet voran als ein Phänomen, das im Grunde nur die neueste Variante der jahrhundertealten Suche nach dem ‹edlen Wilden› Lateinamerikas ist».
Bei dem Terminus «edle Wilde» müssen natürlich alle Alarmglocken läuten, schließlich handelt es sich hier um einen bereits vielfach dekonstruierten Mythos. Toter als der «edle Wilde» kann kein Hund sein. Aber solche Polemik kann der doch differenzierten und vielfältigen Debatte kaum gerecht werden; sie ist ein Beispiel für die Unterschätzung ihrer Komplexität. Das Befremden über den Versuch, einen «Pachamamismus» als eine Art Religion zu etablieren, kommt aber nicht nur aus Europa. Auch der bereits erwähnte Javier Medina kritisiert die «Pachamamicos» in der Regierung, die eine neue Religion proklamieren wollen, mit Priestern und monotheistischen Tendenzen.
Politisch wichtig für uns ist, dass in den andinen Diskursen ein neues Verständnis der Natur in die Politik eingebracht wird – in expliziter Auseinandersetzung mit dem Naturbegriff des abendländischen Denkens. Sowohl in Ecuador wie in Bolivien hat die Natur den Status eines Rechtssubjekts erlangt.
Damit verlassen wir wieder den Boden des Pachamamismus und kommen zu einem Punkt, der durchaus in der europäischen Tradition präsent ist. Er berührt allerdings zwei Dimensionen: zum einen das Naturverständnis unserer abendländischen Tradition und zum anderen die juristische Debatte. Beide sind eng miteinander verbunden.
Fatal für die europäische Tradition war wohl das Machtwort Kants: «Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.» Der Mensch ist für Kant der «Gesetzgeber der Natur». Damit ist wohl das abendländische Naturverständnis und Naturdilemma auf einen kurzen Nenner gebracht. Er ist auch darum wirkungsträchtig, weil er den Bedürfnissen der Wirtschaftsordnung entspricht. Natur ist so eine ausbeutbare Mine; Natur, das ist die Menge der natürlichen Ressourcen. Von Kant über Max Weber bis zu Talcott Parsons bestimmt der Glaube, dass man «alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne» (Max Weber). Und in der marxistischen Tradition hat Friedrich Engels die Vision festgeschrieben, dass die Menschen «Herren der Natur (sind), weil und indem sie Herren ihrer eigenen Vergesellschaftung werden».(14)
Der dominierenden anthropozentrischen Tradition setzen andine Denker nicht einfach ein naturzentriertes Weltbild entgegen. Wir erinnern uns an die Idee des chi’xi, die Möglichkeit, Verschiedenes zugleich zuzulassen und nicht an einem Pol aufzulösen. Das «biozentrische Weltbild»(15) postuliert eine Einheit des Lebens, die eben nicht durch den Gegensatz von Natur und Menschen geprägt ist.
Natürlich gibt es aber auch in der okzidentalen Tradition abweichende Stimmen, die sich für ein anderes Naturverhältnis aussprechen. Alberto Acosta beruft sich ausdrücklich auf Arnes Naess, den norwegischen Philosophen, der einer der Begründer der «deep ecology» ist. Naess ist durch zwei Zitate berühmt: «The earth does not belong to humans.» Und: «The right of all forms to live is a universal right that cannot be quantified.»
Wie aber kann die Idee, dass die Natur Rechte hat, konkret in das juristische System eingespeist werden? Auch hier müssen wir nicht bis zu den Anden gehen.
In der angelsächsischen Tradition ist die Debatte um die Rechte der Natur durch ein wegweisendes Buch geprägt. Im Jahr 1972 veröffentlichte Christopher Stone den Klassiker über Naturrecht: Should trees have standing? (16), und etablierte damit zumindest eine festen Fußnotenplatz für die Frage der Naturrechte in der juristischen Tradition. Stone argumentierte dafür, das heute Undenkbare zuzulassen und die Eigenrechte der Natur anzuerkennen. Dies wäre von unmittelbarer praktischer Bedeutung, weil in der juristischen Interessensabwägung es nicht mehr darum geht, die Nutzung der Natur durch den Menschen lediglich zu optimieren. Eigenrechte der Natur zu konstituieren hieße nicht, jegliche Nutzung (und damit verbundene Zerstörung) zu unterbinden, sondern das Recht der Natur als eigenes Gut anzuerkennen. Das geht natürlich nicht ohne juristische Fürsprecher (wie auch andere Rechtsgüter wie Schiffe über Fürsprecher vertreten werden können), somit sind sich auch die Verfechter der Rechte der Natur bewusst, dass sie einem anthropozentrischen Paradox nicht entkommen können: Es sind Menschen, die die Rechte der Natur einfordern und vertreten. Aber die Anerkennung der Rechte der Natur wäre ein bedeutender und wirkungsmächtiger Perspektivwechsel. Nicht mehr die Regulierung des Umweltschutzes und damit der Nutzung der Natur durch den Menschen wäre der Ausgangspunkt, sondern ein genuines Existenzrecht der Natur. Tatsächlich gibt es schon Elemente des Paradigmas «Rechte der Natur» in unserem Rechtssystem. Das Verbandsklagerecht war ein Schritt in diese Richtung. Im § 20a des GG heißt es seit August 2002: «Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.»
Neu sind die Tiere, denen mit dieser Formulierung ein Eigenrecht im Kontext der Staatsziele zuerkannt wird. § 1 des Tierschutzgesetzes begründet den Schutzanspruch der Tiere aus ihrer «Mitgeschöpflichkeit». Auch die Idee des Artenschutzes geht vielfach über den traditionellen Umweltschutzgedanken hinaus.(17)
Ein Beispiel für Schritte in diese Richtung ist der von IUCN und ICEL(18) vorgeschlagene Pakt für eine neue rechtliche Fundierung nachhaltiger Entwicklung («Draft International Covenant on Environment and Development»). Im Artikel 2 heißt es: «Nature as a whole and all life forms warrant respect and are to be safeguarded. The integrity of the Earth’s ecological systems shall be maintained and where necessary restored.»
Es ist wohl kaum ein Zufall, dass die Oxford University Press Christopher Stones Buch im Jahre 2010 neu herausgegeben hat. Heute gibt es weltweit Denker/innen und Initiativen, die sich für die Verankerung von Naturrechten in Verfassungen einsetzen. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, Cormac Cullinan, war auf dem alternativen Klimagipfel in Cochabamba vertreten und beteiligte sich an der Verfassung der «Declaration of Rights of Mother Earth.» Der Community Environment Legal Defense Fund (www.celdf.org) zum Beispiel ist eine amerikanische NGO, die die Stärkung von Rechten der Natur in Rechtssystemen zu ihrem Hauptanliegen gemacht hat. Sie wurde zu Beratungen über die Verfassung nach Ecuador eingeladen.
Die bereits etablierte Debatte über Rechte der Natur erleichtert einen Dialog zwischen den andinen Traditionen und den westlichen alternativen Diskursen. Für die westliche Kritik an einem naturzerstörerischen Entwicklungsmodell und die Suche nach der rechtlichen Absicherung von Alternativen sind die Beispiele aus Ecuador und Bolivien eine große Ermutigung. Es geht anders, wenn der politische Wille vorhanden ist.
Fußnoten:
(13) Pacha ist ein Aymara-Wort. Sprachwissenschaftlern ist die Sprache der Aymara schon lange ein beliebtes Untersuchungsfeld, weil sie offensichtlich zu großen Abstraktionen und Komplexitäten neigt. Umberto Eco hat darauf in seiner Schrift Die Suche nach der vollkommenen Sprache hingewiesen und Raimiro Beltran zitiert: Durch die algorithmische Natur erleichtere die Syntax des Aymara die Übersetzung aus jeder beliebigen Sprache in ihre Termini – aber nicht umgekehrt. Eine «Misshelligkeit» (Eco) für uns, fürwahr (Eco 1995, S. 350).
(14) Alle Zitate nach Görg 1998. Görg bietet einen knappen und guten Überblick über die Geschichte des okzidentalen Naturverständnisses.
(15) Damit betritt man natürlich gefährlichen Boden. Jutta Ditfurth hat in einer fulminanten Streitschrift, Entspannt in die Barbarei, gegen den Biozentrismus polemisiert. Wenn er tatsächlich auf einen Biologismus hinausläuft, sind Vorbehalte angebracht. Hier soll keinen neuen «-ismen» das Wort geredet werden. Dass aber das anthropozentrische Weltbild an seine Grenzen geraten ist, dürfte keine allzu kühne Behauptung sein. Wie wir das Verhältnis Mensch und Natur neu bestimmen, ist eine offene Frage und muss politisch ausgehandelt werden. In diese Richtung zielt die Debatte über Buen Vivir. Die indigenen Kosmosvisionen haben nichts mit dogmatisch begründetem Veganismus zu tun.
(16) Eine deutsche Ausgabe (Umwelt vor Gericht) wurde 1974 vom Trickster Verlag veröffentlicht. Das Buch enthält eine Einleitung von Klaus Bosselmann und ein bemerkenswertes Nachwort des damaligen Präsidenten des Umweltbundesamtes, Heinrich Freiherr von Lersner, der Stones Ansatz des ethischen Pluralismus hervorhebt.
(17) Auch eine Stellungnahme (10.3.2009) der Grünen Bundestagsfraktion betont den Tierschutz aus der Perspektive der Rechte der Tiere: «Tierschutz achtet die Rechte der Tiere. Wir haben den Tierschutz in den vergangenen Jahren gestärkt, in dem wir etwa das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz verankert und Legebatterien verboten haben. Letzteres wurde gegen unseren Widerstand von der Großen Koalition zurückgenommen. Wir kämpfen für den Schutz der Tiere als Lebewesen, für die Erhaltung ihrer Lebensräume und für die Artenvielfalt.» (http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/tierschutz.html)
(18) IUCN ist die International Union for Conservation of Nature; ICEL steht für The International Council of Environmental Law. Beides sind offiziöse Organisationen, in denen Regierungsinstitutionen Mitglieder sind und unverdächtig einem radikalen Biozentrismus anhängen.''
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