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Martin Marheinecke CAW
28.04.2017, 09:55

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Die Science Fiction-Religion

von Martin Marheinecke

'''"Science Fiction-Religion" ist in den meisten Fällen ironisch bis polemisch gemeint. So nennt man die notorische "Scientology-Church", oder man bezeichnet UFO-Sekten so, vielleicht bezieht sich dieser Ausdruck auch auf jene, die bei einer Volkzählung in Großbritannien als Religion "Jedi" angaben. Es gibt jedoch eine echte Science Fiction-Religion. Sie beruht auf einen bekannten SF-Roman und ist in den USA seit 1970 offiziell als Kirche anerkannt: Die "Church of All Worlds", kurz CAW.'''

Die Church of All Worlds, Inc. in Robert A. Heinleins "Stranger in a Strange Land"

Der Roman "Stranger in a Strange Land" ("Ein Mann in einem fremden Land") handelt von Valentine Michael Smith, kurz Mike. Er wurde auf dem Mars als Kind irdischer Eltern geboren und von Marsianern aufgezogen. 25 Jahre später erreicht eine zweite Expedition den Mars, findet Mike und bringt auf die Erde, die für ihn ein "fremdes Land" ist.

Die seltsamen Umstände seiner Geburt machen Mike zum Erben eines gewaltigen Vermögens, was ein atemberaubendes Karussell zwielichtiger politischer Machenschaften in Gang setzt. Seinen marsianischen Pflegeeltern verdankt Mike eine Reihe von Psi-Fähigkeiten: Er kann alle seine Köperfunktionen perfekt kontrollieren, seinen Körper verlassen, beherrscht Telekinese und Telepathie und kann Dinge einfach verschwinden lassen - was sowohl Kleider und Schusswaffen, aber auch Menschen einschließt. Blendendes Aussehen, hochentwickelter Intellekt, photographisches Gedächtnis, enormes Charisma und eine ungeheure Anziehungskraft auf Frauen vervollständigen Mikes Talente. Mike würde von Heinlein also bestens ausgestattet, eine Religion zu gründen - und genau das tut er, nachdem er das Leben auf der seltsamen Welt "Erde" kennen gelernt hat und sich über die gefährlichen Hintergedanken der Marsianer klar geworden ist.

Mikes (bzw. Heinleins) "Church of all Worlds, Inc." sieht sich so Einiges bei TV-Evangelisten und charismatischen Christen ab, entlehnt Anderes bei den Scientologen - immerhin kannte Heinlein den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard persönlich - Vieles bei den Zen-Buddhisten und den Freimaurern und noch mehr bei magischen Gesellschaften wie dem O.T.O. oder dem "Golden Dawn". Die "Church of All Worlds" ist wie die meisten magischen Gesellschaften in konzentrischen Einweihungskreisen organisiert - neun an der Zahl, für jeden Planeten einen. Die Untergruppen der Kirche werden nach Vorbild der Eier legenden Marsianer "Nest" genannt. Im Wesentlichen ist die CAW eine Schule, die marsianische Sprache und marsianisches Denken lehrt - das "Grokken" oder das Erfassen der "Ganzheit" von Dingen und Lebewesen. Grokken ist die Grundlage der paranormalen - oder eigentlich magischen - Fähigkeiten der Marsianer. Die stufenweise Schulung und Einweihung in der "Church of All Worlds" bewirkt also die magische Entwicklung der Persönlichkeit. Religiös gesehen sind Mike Smiths Jünger Pantheisten - Gott oder das Göttliche wohnt allen Dingen inne, alle Dinge und Personen sind göttlich, die Kirchenmitglieder grüßen sich mit "Thou art God" - "Du bist Gott". Seine Religion will vor allen Dingen die Einstellung der Menschen zur Sexualität und zur Moral ändern. Die Marsianer sind als Nymphe weiblich, als Erwachsene männlich, also im Grunde eingeschlechtlich. Die sexuelle Bipolarität ist das Besondere an der Erde. Mike lehrt, dass in der Beziehung der Geschlechter untereinander die Schönheit unserer Welt ihren Ausdruck finden könnte. Aber der Mensch hat diese Schönheit wissentlich oder fahrlässig verdorben, denn er nützt den Sex nicht, um sein Glück zu finden, sondern, um anderen Schaden zuzufügen. Mike predigt nicht: "Du sollst deines Nächsten Weib nicht begehren" sondern "Du sollst deines Nächsten Weib lieben". Denn Liebe - was sowohl die geistige wie die körperliche Liebe meint - ist grenzenlos, und indem wir uns ihr hingeben, haben wir alles zu gewinnen und nichts zu verlieren, es sei denn, unsere Angst, unser Schuldgefühl, unseren Hass und unsere Eifersucht. Aus der Kombination der magischen Fähigkeiten der Marsianer und der liebevollen Sexualität der Terraner resultiert ein gegenseitiges Verstehen, durch das die Erde buchstäblich gerettet werden wird. Am Ende stirbt Mike wie jeder wirkliche Messias den Märtyrertod, d. h. er lässt sich von einer gegen seine "Sekte" aufgebrachten Menge lynchen.

Schon beim Erscheinen des Romans 1961 hätte Robert A. Heinlein eine blühende Marszivilisation in einem "harten" SF-Roman nicht mehr verwenden können, ohne lächerlich zu wirken. Als Fabelwesen in der Tradition von Swifts "Gullivers Reisen" funktionieren die Marsianer dafür umso besser, denn "Stranger in a Strange Land" ist ein modernes satirisch-philosophisches Märchen. Unübersehbar ist das Buch eine Satire auf die westliche Zivilisation im Allgemeinen und den "American Way of Life" im Besonderen, mit speziellen Seitenhieben auf Gangster-Methoden in der Politik, spießige Doppelmoral und kommerzialisierte Religion. In weiten Teilen ist "Stranger" stark parodistisch, es ist nur konsequent, wenn Mike sich am Ende des Romans buchstäblich als Erzengel entpuppt - komplett mit Flügeln und Heiligenschein. Ob Heinlein die von ihm erfundene Religion als Anregung für einen neuen spirituellen Lebensstil gemeint hatte, ist allerdings stark zu bezweifeln.

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Vom Studentenulk zur ersten anerkannten heidnischen Kirche

Die Geschichte der real exstierenden "Church of All Worlds" (CAW) begann am 7. April 1962, als die Psychologiestudenten Lance Christie und Timothy Zell nach dem Vorbild aus Heinleins Roman ihr Wasser rituell miteinander teilten.

Als Student am Westminster College in Missouri leitete Cristie eine informelle Gruppe, die sich mit libertären politischen Ideen, dem Selbst-Wahrnehmungskonzept Abraham Maslows und experimentellen Lebensstilen befasste. Anfangs ließ sich die Gruppe durch die anti-utopischen Romane Ayn Rands, die ein Loblied auf den absoluten Individualismus sang, beflügeln. Da Ayn Rand jedoch jede Form der Naturverehrung ablehnte und sich immer mehr als Umweltschutzgegnerin entpuppte, suchten die schon damals um die bedrohte Natur besorgten Studenten um Cristie neue Inspirationsquellen. Auf "Stranger in A Strange Land" reagierten sie geradezu enthusiastisch. Sie standen damit nicht allein, denn der Roman avancierte zum Kultbuch, eine Zeit lang waren in der Underground-Kultur der USA das Wort "grokken" "in" und "Wasser-Zeremonien" ein beliebter Party-Gag. Noch am Westminster-College gründeten Christie und Zell eine Gruppe, die sich "Atl" nannte, nach einem aztekischen Wort, das "Wasser", aber auch "Heimat unserer Ahnen" bedeutet. "Atl" war eine von vielen lockeren Freundesgruppen der Hippiezeit, die aufs Land zogen, um gemeinsam das menschliche Potential und neue soziale Strukturen zu erforschten. Dass sie sich öffentlich zur in Heinleins Buch beschriebenen Religion bekannten, war wahrscheinlich in erster Linie als Provokation konservativer Christen gedacht. Auch wenn dieses Bekenntnis anfangs wenig mehr als ein Studentenulk gewesen sein wird, ging aus "Atl" im Laufe der 1960er eine »echte« ökologisch orientierte Religionsgemeinschaft hervor.

1968 gründete Zell, der sich nun Oberon Zell-Ravenhard oder kurz Otter Zell nannte, offiziell die "Church of All Worlds" (CAW). Heinlein soll amüsiert, wenn auch distanziert, auf diese sich auf ihn berufende religiöse Gruppe reagiert haben. Später gab er seine Distanz teilweise auf und veröffentlichte sogar Essays in CAW-Zeitschriften. Damals war die CAW die erste umweltschutz-orientierte Gruppe, die sich pagan (heidnisch) nannte, möglicherweise, weil Umweltschützern zu dieser Zeit allen Ernstes vorgehalten wurde, sie würden den (angeblichen) göttlichen Auftrag über die Natur zu herrschen missachten, Naturverehrung sei mithin heidnisch. Dennoch trug die CAW dazu bei, dass man zumindest in den USA beim Wort "Neo-Pagan" ("Neuheide") auch an hippiemäßige Naturfreunde denkt - und nicht nur an "völkische" Germanenschwärmer im Nazi-Stil.

1970 wurde die "Church of all Worlds" von der US-Regierung offiziell als Kirche anerkannt: als erste heidnische Kirche und als erste Kirche, die sich auf einen SF-Roman gründet.

Anfang der 1970er Jahre griff Otter Zell die "Gaia"-Hypothese des Atmosphärenchemikers und Ökologen James E. Lovelock auf - genau genommen beanspruchte Zell die Priorität für sich selbst. Die "Gaia"-Hypothese geht davon aus, dass das komplette Ökosystem der Erde einen sich selbst regulierenden Kollektivorganismus bildet: Die Erde ist kein "Leben tragender" Planet, sie ist ein lebender Planet. In dieser Form ist Gaia eine solide naturwissenschaftliche Hypothese. Allerdings ging Zell weiter: Er nahm nicht nur, wie viele spirituell gesonnene Menschen, an, dass Gaia ein kollektives Bewusstsein bilden würde, er ging so weit, Gaia buchstäblich als Göttin zu verehren. Diese Idee wuchs sich zum zentralen Mythos der CAW aus. Offiziell hat die CAW kein Glaubensbekenntnis, aber die mystische Form der Gaia-Hypothese wird von den meisten Mitgliedern akzeptiert.

Zur CAW gehörte eine der ersten Umweltschutz-Zeitschriften, das "Green Egg Magazine". Trotz des auf viele Leser versponnen wirkenden religiösen Hintergrundes genoss sie in der 1970ern und 1980ern einen guten Ruf. Sinkende Auflagen und fehlenden Anzeigen führten 2001 dazu, dass das "Green Egg Magazine" aus finanziellen Gründen eingestellt werden musste. 1983 ging Otter Zell durch die Boulevardpresse, als er eine Ziege mit einem einzelnen Horn auf der Mitte der Stirn als lebendiges Einhorn präsentierte und wilde Spekulationen über Gen-Manipulation im Kellerlabor und abenteuerliche chirurgische Experimente auslöste. (Sein "Einhorn" war eine seltene, aber keineswegs einmalige natürliche Missbildung.) 1986 kam Zell wieder in die bunten Blätter, als er zu einer Expedition mit dem angeblichen Ziel, die Existenz der Nixen zu beweisen, in den Süd-Pazifik aufbrach. Derartige Aktionen zeigen Zells Lust an eulenspiegelhafter Provokation.

Heute ist Zell eines der seltenen Beispiele eines Religionsgründer im Ruhestand: Er hat sich von allen Priesterämtern und offiziellen Funktionen zurückgezogen.

Die anfangs winzige Kirche profitierte stark vom Esoterik-Boom der 80er Jahre. Heute erhält sie vor allem dank des gestiegenen Interesses an Hexen und Magie Zulauf - nach Angaben der CAW möchten mehr Menschen beitreten als sie organisatorisch verkraften könnte. Auf jeden Fall ist sie die größte einzelne neuheidnische Religionsgemeinschaft in den USA. (Die Wicca als verbreiteste neuheidnische Religion sind extrem stark zersplittert, praktisch jeder Coven von maximal 13 Mitgliedern ist eine Religionsgemeinschaft für sich.) Die CAW besitzt ein Stück heiliges Land, genannt "Annwfn", in Nordkalifornien, auf dem sie ihre Riten unter freien Himmel abhält. Zu ihr gehört unter anderem die "Mythic Images statuary company" und eine Jugendorganisation mit dem Magazin "How about magic". Die CAW hat "Nester" in mehreren Staaten, in Europa z. B. in der Schweiz und in Estland, und unterhält eine lebhafte Online-Community.

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Öko-Hexen auf Raketen - Lehre und Ideologie der "Church of all Worlds"

Die "Church of all Worlds" wurde stark von der breiteren neuheidnischen Bewegung, vor allen von Wicca und dem Neo-Schamanismus, beeinflusst - und hat umgekehrt einigen Einfluss auf die nordamerikanische Heidenszene. Sie ist eine typische eklektizistische Neureligion - eine "Patchwork-Religion". Nach eigenen Angaben ehrt die CAW die Vielfalt der Kulturen und fördert religiöse Freiheit und Frieden zwischen den Menschen und beruht auf einem Leben in Harmonie mit der Natur, Selbstwahrnehmung, tiefer Freundschaft und einem positiven Verhältnis zur Sexualität.

Zentraler Mythos ist die Vision unseres Planeten als bewusstes Lebewesen, als Göttin, genannt Mutter Erde oder Gaia. Dieser Mythos drückt das Grundprinzip der CAW aus. Unser Planet und das Leben auf ihm sind heilig, und der Schutz des Lebens und der natürlichen Umwelt sind ein Akt der Verehrung: "Umweltschutz ist Gottesdienst".

Die Natur unseres Universums und unseres Planeten ist eine Manifestation des göttlichen Seins, das Göttliche wohnt dem Kosmos inne. Die CAW hat mit anderen Worten pantheistische Grundlagen, die von einzelnen Mitgliedern jedoch polytheistisch oder sogar monotheistisch überformt werden. Die CAW vertritt einen pluralistischen religiösen Standpunkt: Sie verlangt von ihren Mitglieder nicht, ihre bisherige Religion oder Glaubensrichtung aufzugeben, solange diese nicht mit den von der CAW vertretenen Werten kollidieren - ein dem Buddhismus analoges Konzept. CAW-Anhänger betonen, dass sie nicht danach streben, "wahre Gläubige" zu erden, sondern Wissende. "Glauben" sei im Allgemeinen eher ein Ausdruck des Wunschdenkens als eines echten Verständnisses, und Glaubensätze wären viel zu oft Grundlage für die Verfolgung Ungläubiger gewesen. Die Natur des menschlichen Seins ist für die CAW ein Ausdruck des göttlichen Seins. Aus diesem Grund - und nicht etwa aufgrund einer Selbstvergottung - würden sich die Mitglieder der Kirche mit "Du bist Gott" oder "Du bist Göttin" grüßen. Die CAW weißt Kritiker ihrer vermeidlichen Vermessenheit gern darauf hin, dass auch der Hindu-Gruß "Namaste" "Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir" bedeutet. Alle in Allem hat die CAW mit den monotheistischen Offenbarungsreligionen Christentum, Islam und Judentum wenig gemein, aber nach eigenem Verständnis sehr viel mit den "heidnischen Naturreligionen aller Völker".

Der Grundritus der "Church of All Worlds" ist die direkt aus Heinleins Roman übernommene Wasserbruderschaft. Da Wasser unentbehrlich für das Leben auf der Erde ist, ehrt das Ritual des Wasserteilens dieses Leben spendende Gut. Wie ihr Roman-Vorbild ist sie in neun konzentrischen Einweihungskreisen organisiert, gegliedert nach persönlichem Entwicklungsstand, ähnlich den Graden der Freimaurerei. Wie schon erwähnt, nennen sich die religiösen Gemeinden der CAW Nester. Ein Nest besteht aus drei oder mehr Mitgliedern, die oft in Wohngemeinschaft leben. Wie beim Vorbild aus Heinleins Roman gehört auch Gruppensex zum rituellen Programm. Nach CAW-Auffassung schaffen Heiden keine künstliche Trennung zwischen heilig und weltlich, für einen Heiden ist alles, was er bewusst tut, Gottesdienst, nicht nur ein einmal in der Woche abgehaltenes Ritual. Auch die CAW ist eher ein Lebensstil als Kirche im landläufigen Sinne. Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterkenntnis sind der CAW nach eigenen Angaben überaus wichtig. Scheinbar im Gegensatz zu ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber rationaler Wissenschaft steht das explizit magische Weltbild der CAW. Scheinbar, da Magie für die CAW, wie generell für die meisten Heiden, Hexen und Schamanen, nicht das Aufheben von Naturgesetzen ist, sondern die Kunst, Veränderungen in Übereinstimmung mit dem Willen zu bewirken. Die Realität wird vom eigenen Willen bestimmt, indem die hinter den Erscheinungen verborgenen Dinge mit Hilfe angemessener Worten und Taten, die im richtigen Bewusstseinszustand gesprochen und ausgeführt werden, angesprochen werden. Magie zeigt sich in dem, was Rationalisten wiederholte glückliche Zufälle, psychologische Tricks, subtile Manipulationen, oder noch unerklärte Naturphänomene, allenfalls Psi-Phänomene oder Sychronizität im Sinne C. G. Jungs nennen. "Positive Sexualität" ist der CAW geheiligt. "Positive Sexualität" bedeutet, dass sich die Sexualpartner respektieren und möglichst auch lieben. Sex muss immer völlig freiwillig sein und darf keinem Beteiligten seelischen oder körperlichen Schaden zufügen. Sex soll nicht nur allen Beteiligten Spaß bringen, sondern sie auch seelisch näher zusammenführen. Alle Formen sexueller Partnerschaft - hetero, homo, bi, monogam, polygam oder wie auch immer - gelten als "Ehe" und geheiligt. Die Ehe in all ihren Formen dient neben der sexuellen Betätigung der sozialen Stabilität. Aus Gründen der ökologischen Verantwortung ist die CAW für Familienplanung und Verhütungsmittel und lehnt auch Abtreibungen nicht ab. Die CAW vertritt mutterrechtliche Prinzipien, vor allem jenes, dass jede Frau das Recht hat, frei zu entscheiden, ob, wann, und wie viele Kinder sie von welchen Männern haben möchte. Nacktheit im Ritual wird als Zeichen der Freiheit gesehen. Die CAW ermutigt ihre Mitglieder deshalb zur rituellen Nacktheit in privaten Rahmen eines Nests, in abgelegener freier Natur oder auf einem FKK-Gelände. Auch weil zwischen Alltag und Ritual nicht scharf unterschieden wird, sind sehr viele CAW-Anhänger überzeugte Nudisten.

In einem Punkt unterscheidet sich die "Church of All Worlds" von anderen neuheidnischen Gruppen: Während sich z. B. Wicca und Asatrú gern an einer mystischen Vergangenheit als "goldenem Zeitalter" orientiert, sieht die CAW das goldene Zeitalter in der Zukunft. Trotz ihrer naturreligiösen und umweltschützerischen Grundhaltung sind die CAW-Mitglieder alles andere als technikfeindlich - auffallend viele gehen technischen oder wissenschaftlichen Berufen nach, sehr viele sind Computerexperten. (Das gilt interessanterweise auch für andere Neuheiden.) Die CAW ist buchstäblich eine Kirche aller Welten, denn auch andere Planeten, die Leben tragen, sind lebendig, göttliche Wesenheiten, mit ihren eigenem Rad der Jahreszeiten, Kraftorten, Monden, ihrem eigenen Tierkreis. Eine unserer Aufgabe als Menschen sei es, Gaia bei ihrer "Fortpflanzung" zu helfen, bisher tote Welten zu besiedeln, Planeten wie Venus, Mars, die Jupitermonde zu "terraformen", interstellare Saatschiffe zu bisher unbelebten Planeten zu entsenden, und auf allen Welten das Leben zu beschützen. Im Vergleich zur denen ihren sonst sehr ähnlichen Wicca-Hexen haben die CAW-Wasserbrüder den Hexenbesen gegen das Raumschiff eingetauscht.

Alles in Allem ist die "Church of All Worlds" rational und individualistisch. Ihren politischen Aussagen nach steht die CAW irgendwo zwischen extrem libertär und gewaltfrei anarchistisch.

Für den Kenner des Heinlein-Romans drängt sich die Frage auf, ob die "Church of all Worlds" etwa den rituellen Kannibalismus - oder eigentlich die rituelle Nekrophagie - des Vorbildes praktiziert. Gemäß ihrer Selbstdarstellung, wie nicht anders zu erwarten, nicht. Jedoch lehnt die CAW es ab, den Leichnam etwa durch Einbalsamieren oder unverwesbare Särge dem natürlichen Lebenszyklus entziehen. Eine CAW-Bestattung erfolgt ohne Sarg in Mutterboden. Auch Seebestattungen ohne vorheriges Einäschern und die alte Himalaja-Tradition, die Toten von Geiern fressen zu lassen, sind CAW-gemäß.

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Machtphantasien, die niemandem etwas bringen? - Kritik

Der naheliegendste Kritikpunkt an der "Church of All Worlds" ist, dass eine Religion aus einem SF-Roman bestenfalls ein provokativer Witz sei und auf keinen Fall ernsthaft religiös sein könne. CAW-Mitglieder antworten darauf, dass eine Religion, die auf einem Science Fiction-Roman beruht, nicht absurder sei, als eine, die sich auf die Legenden frühgeschichtlicher Hebräer beruft oder eine, die sich auf die mysteriösen Schrifttafeln eines Engels namens Moroni gründet.

Dem Ansehen der "Church of all Worlds" ist die Tatsache, dass der anrüchige Mystizismus von Charles Mansons "Family" zum größten Teil auf Heinleins Roman beruhte, wenig förderlich. Durch den rituell verbrämten Massenmord in Beverly Hills, dem unter anderem die Frau des Regisseurs Roman Polansky, Sharon Tate, zum Opfer fiel, erlangte Mansons "Familiy" 1969 traurige Berühmtheit. Mason identifizierte sich mit Valentine Michael Smith, sein erstes Kind erhielt den Name Valentine Michael Manson. Allerdings kann Heinlein nichts dafür, dass Manson ihn mochte, noch weniger betrifft das Zells CAW, die Manson noch nicht einmal gekannt haben dürfte. Es gehört schon einiges an Naivität - oder Dreistigkeit - dazu, Mansons brutalen Neo-Satanismus mit Heinleins Roman-Religion und diese mit der CAW zu verwechseln.

Jeder Kritiker der "Church of All Worlds" sollte beachten, dass sich die CAW deutlich von ihrem Roman-Vorbild unterscheidet. Nur ein vergleichsweise kleiner Teil ihrer heutigen Lehre stammt tatsächlich aus "Stranger in A Strange Land", der z. B. aus Wicca übernommene Anteil ist weitaus größer. Behält man das stets im Hinterkopf, lohnt es sich, Kritiken an Heinleins fiktiver Religion in Hinblick auf die reale Religion CAW anzusehen.

Helga Abret und Lucian Bioa schrieben in "Das Jahrhundert der Marsianer" 1984 zu Heinleins "Stranger in a Strange Land": "Aber die Protesthaltung des Autors und der neue Lebensstil, den er vorschlug, faszinierten die jugendliches Leser in den Vereinigten Staaten, und das Märchenmotiv von der Zauberkraft des Wünschens, das den ganzen Band durchzieht, kam wahrscheinlich einer etwas rudimentären Phantasie entgegen."

Auch der SF-Autor Brian W. Aldiss leitet die Religion in "Stranger" vom alten Science Fiction-Klischee des allmächtigen Menschen her ab und sieht bereits im Roman eine fragwürdige Vermischung von Tatsache und Fiktion. Inwiefern kultiviert die reale CAW Machtphantasien? Leben ihre Mitglieder in einer irrealen Traumwelt - in einer Art Fantasy-Rollenspiel, dessen Spieler irgendwann einmal Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr auseinander halten konnten? Auch hier dreht die CAW den Spieß um und betont, die meisten Religionen beriefen sich auf nichts als den Glauben und Glauben sei im Allgemeinen eher ein Ausdruck des Wunschdenkens als eines echten Verständnisses. Die CAW stelle dagegen das Wissen in den Mittelpunkt. Dafür, dass in der CAW Science Fiction und Wirklichkeit systematisch verwechselt werden, gibt es in ihren Selbstdarstellungen tatsächlich keine Anhaltspunkte. Allmachtsphantasien werden auch nicht geschürt, im Gegenteil, ihre Selbstdarstellungen enthalten für eine Neureligion ungewöhnliche selbstkritische "Down to Earth"-Töne. Dennoch mangelte es der CAW-Lehre nicht an Anknüpfungspunkten für Machtphantasien - immerhin ermöglich sie ihren Anhänger, Magie zu praktizieren und einen alternativen Lebensstil zu pflegen, der eine Flucht aus der bösen Alltagswelt bei gleichzeitigem Elitebewusstsein ermöglicht. Wunschvorstellungen, durch okkulte Übungen ein "Übermensch" werden zu können, wie sie z. B. die Scientology-Church offen anspricht, dürften auch bei vielen CAW-Anhängern zu finden sein.

Der SF-Autor und -Kritiker Alexei Panshin setzte sich 1968 in seinem Buch "Heinlein in Dimension" auch mit der in "Strange in a Strange Land" beschriebenen Religion auseinander. Panshin geht davon aus, dass die religiösen Vorraussetzungen von Heinleins Roman nicht stimmen, und es eben keine Superkräfte gibt, und bemerkt: " ... ohne diese wird jeder, der versucht, die Religion des Buches zu praktizieren (zu der Massensex gehört), in Bedrängnis geraten. Mit anderen Worten, diese Religion bringt niemandem etwas."

Gerät die CAW tatsächlich in Bedrängnis, weil es keine Superkräfte gibt? Aller Wahrscheinlichkeit liegt Panshin ähnlich falsch, wie ein Kritiker einer magischen Religion wie Wicca oder Voodoo, der einwendet, die Vorraussetzungen dieser Religionen würden nicht stimmen, da es eben keine Magie gäbe. Er erhielte wahrscheinlich die Antwort:"Wieso? Magie gibt es doch, ich praktiziere sie täglich und sie funktioniert!". Sowohl der fiktiven wie der realen "Church of All Worlds" liegt ein magisches Weltbild zugrunde. Hinzu kommt, dass die Fähigkeiten von Heinleins Mike dem Schema üblicher Comic-Superhelden-Superkräfte entsprechen. Superhelden haben in der Regel eine oder mehrere Fähigkeiten, die im Prinzip jeder Mensch hat, im extrem gesteigerten Ausmaß - am häufigsten übermenschliche Muskelkraft. Mike kann seine Köperfunktionen perfekt kontrollieren - ansatzweise kann das jeder, der z. B. Yoga oder autogenes Training praktiziert. Er hat ein perfektes Gedächtnis - unser Gedächtnis ist trainierbar. Er kann seinen Körper verlassen - gesteuerte außerkörperliche Erfahrung ist für Schamanen normal und nach eigener Überzeugung real, Mike kann es nur besonders gut. Ähnliches gilt für das, was wir gemeinhin Psi-Talente nennen - allem Anschein nach haben viele Menschen sie, Mikes sind lediglich besonders ausgeprägt. Das nur eine Fantasiefigur wie Superman ganze Gebäude stemmen kann, spricht nicht gegen die Existenz von im Vergleich zu Normalmenschen enorm starken Gewichthebern.

Der Vorwurf, eine zusammengesuchte Eigenbau-Religion zu sein, greift ins Leere, da praktisch alle Religionen als eklektizistische Neugründungen eines Stifters angefangen haben. Ebenso der gerade in den USA gern erhobene Vorwurf, die CAW sei hedonistisch, folge vor allem dem Lustprinzip und sei damit unmoralisch. In der genuss- und sexfreudigen Haltung der CAW etwas Negatives zu sehen, rührt wohl von der oft uneingestandenen protestantischen Arbeitsethik und puritanischen Lustfeindlichkeit der Kritiker her.

Einen substanzielleren Kritikpunkt an der "Church of All Worlds" liefert Zells bekannter Hang zur Eulenspiegelei. Die CAW ist vielleicht nur ein gewaltiger Witz ihres Gründers. Sicherlich ist vieles an der CAW auf Provokation hin angelegt, sie ist immer noch eine Protestreligion.

Was die CAW tatsächlich problematisch macht, ist ihr Hang zur Mischung im Grunde nur schwer verträglicher Ideen. Wie es Robert Anton Wilson, bekannter Experte für Verschwörungstheorien und bizarre Geheimgesellschaften, ausdrückt: "Sie bekommen einen Eindruck davon, wenn ich Ihnen sage, dass die politischen Stellungnahmen der CAW oft nach einer explosiven und instabilen Mischung aus Ronald Reagan und Mahatma Gandhi klingen." Der extreme libertäre Individualismus z. B. widerspricht eigentlich dem alles teilenden Kollektiv des Nests, der ebenfalls libertäre ungehemmte Kapitalismus ist nur schwer mit dem Streben nach allgemeiner sozialen Gerechtigkeit zu vereinbaren, die Anti-Atomkraft-Haltung der Öko-Religion CAW steht im möglichen Konflikt zu ihrer Raumfahrtbegeisterung, da bemannte interplanetarische Raumschiffe wahrscheinlich ohne Nuklearantriebe nicht machbar sein werden, ähnliches gilt für Terraforming und Gentechnik, der Pazifismus der CAW verliert dadurch an Glaubwürdigkeit, dass Zell und andere CAW-Geistliche sich für das Recht auf privaten Waffenbesitz einsetzen, die übergroßen Erwartungen an die heilsame Wirkung der "positiven Sexualität" steht in einem gewissen Gegensatz zum Harmoniestreben, da selbst harmonische sexuelle Beziehungen regelmäßig Konflikte erzeugen usw. . Es grenzt tatsächlich an Zauberei, dass die CAW es augenscheinlich auch ohne autoritäre Führung immerhin über 30 Jahre lang geschafft hat, nicht wegen dieser Konflikte auseinander zu Brechen. Eine kleine, aber reale Gefahr, besteht darin, dass diese heftigen inneren Widersprüche bei psychisch labilen Mitgliedern zu unerträglichen "Double Bind"-Situationen führen - "Wie ich's mache, ich mach es falsch" - und das diese zusammen mit der in der CAW durchaus vorhandenen Tendenz zur Realitätsflucht zu Psychosen wie paranoider Schizophrenie führen könnten. Auch nur ein Paranoiker mit Allmachtsphantasien und Schusswaffen, der irgendwann einmal Amok läuft, ist einer zuviel. Dass andere Religionen überreichlich Mörder und Verrückte hervor gebracht haben, macht das nicht besser.

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(Dieser Artikel erschien im Magazin "phantastisch!" Nr. 11, Juni 2003, Verlag Achim Havemann - http://www.phantastisch.net )

http://www.caw.org - Offizielle Website der "Church of All Worlds" << Ich, die männliche Brockenhexe | Liste Nach Autoren | Keine Panik wenn der Förster kommt - Tipps für Versammlungen unter freiem Himmel >>

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