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Buen Vivir – Recht auf gutes Leben |
Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre in Südamerika haben einige Aufmerksamkeit erregt. «Linke» Kandidaten gewannen nach und nach die Wahlen und konstituierten neue progressive Allianzen. Schon ein oberflächlicher Blick auf den Subkontinent zeigt aber, dass es sich hier um einen komplexen und heterogenen Prozess handelt und nicht um die Formierung eines neuen Linksblocks. Die pittoresken Züge eines Hugo Chávez in Venezuela und der erstaunliche Erfolg des ehemaligen Gewerkschaftsführers Lula da Silva in Brasilien haben oft den Blick auf die Entwicklung in den kleineren Staaten des Andenraums versperrt. Dabei haben gerade in Ecuador und Bolivien Entwicklungen begonnen, die nach Neuem streben und dabei bereits Beachtenswertes zu Wege bringen.
Nach langen innenpolitischen Wirren gewann der Außenseiter Rafael Correa 2006 die Präsidentschaftswahlen in Ecuador. Dabei waren zwei Forderungen entscheidend: das Versprechen, die «lange Nacht des Neoliberalismus» (Correa) zu beenden und die Abkehr von der Parteienherrschaft, der «partidocracia».
In Bolivien gewann Evo Morales 2005 die Präsidentschaftswahlen. Auch hier spielt die Kritik an den überkommenen Parteien und am neoliberalen Wirtschaftsmodell eine zentrale Rolle. Die Regierung Morales versteht sich als eine Regierung der sozialen Bewegungen und betont ihre indigenen Wurzeln.
Beide Staaten haben den Prozess der Verabschiedung einer neuen Verfassung hinter sich. Der verfassungsgebende Prozess sollte einen Neuanfang nach autoritären Regimen und wirtschaftlicher Ausbeutung bedeuten. Beide Länder haben im Rahmen dieses Prozesses den Mut gehabt, ungewöhnliche Konzepte in ihrer Verfassung zu verankern. Sowohl Bolivien wie auch Ecuador haben in ihren Verfassungen den Begriff des «guten Lebens» aufgegriffen, und beide sehen in der Natur ein Subjekt, das Rechte haben kann. Dies sind zwei paradigmatische Wendungen von weitreichender Bedeutung, wenn sie denn über eine Verfassungsrhetorik hinausgehen und wirkungsträchtig werden.
Für das Verständnis der Entwicklungen in Ecuador und Bolivien ist ein Element fundamental: Beide Länder berufen sich auf die indigene Tradition der Anden. «Sumak Kawsay» ist das Quechua-Wort, das mit «Buen Vivir» («Gutes Leben») auf Spanisch übersetzt wird. Die Verfechter des Buen Vivir betonen diesen indigenen – und das heißt im südamerikanischen Kontext eben auch: nicht-kolonialen Ursprung des Konzeptes. In der Suche nach neuen Leitbildern kristallisiert sich auch der Versuch, die koloniale Vergangenheit, die die südamerikanische Geschichte prägte, endlich zu überwinden.
Das Buen Vivir trifft sich offensichtlich mit anderen Bestrebungen, die aufgrund eines allgemeinen Unbehagens an überkommenen Wachstums- und Fortschrittskonzepten nach neuen Ideen suchen. Das Bruttosozialprodukt als Indikator für Wachstum ist in den theoretischen Debatten eine gründlich desavouierte Vorstellung, die dennoch politisch dominant bleibt. Das Glück wird allerdings als neue Leitidee auch diskutiert, und das Königreich Bhutan ist durch seine Verfassung, die zur Glücksförderung verpflichtet, berühmt geworden. Die Entwicklungen in den Andenstaaten laufen aber Gefahr, zu leichtfertig in die okzidentale Suche nach neuen Leitbegriffen integriert oder aber vorschnell als südamerikanische Politikfolklore und Kokolores abgetan zu werden. Daher soll im Folgenden zunächst der historisch-kulturelle Kontext, in dem die neuen Verfassungen entstanden sind, skizziert werden, um dann einen näheren Blick auf die neuen Konzepte, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Grenzen zu werfen.
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